6ο
Jonas Borsch
uma) einen Heldenkatalog, der allerdings eine deutlich stärker komprimierte Form
hat und der sich ganz auf die Beschreibung des Äußeren konzentriert. Ungeachtet
des angeblich troischen Standpunktes des fiktiven Informanten umfasst auch dieser
Katalog troische und griechische Helden gleichermaßen.51 Neben ihrem Gegenstand
haben die Passagen in den beiden Werken aber noch mehr gemeinsam. Insbesondere
bezeugen sie die Bedeutung, die das ,Sichtbarwerden4 der Heroen für die neuen, al-
ternativen Troja-Narrative hatte. In der Historia kommt das schon in der Menge der
einschlägigen Passagen zum Ausdruck; im Heroikos fallen sie zudem ganz ins Zent-
rum der Schrift und werden durch mehrfache Nachfragen eines der Dialogpartner ak-
zentuiert.52 Beide Schriften werden als bessere, weil von Augenzeugen verfasste Ver-
sionen der troischen Geschichte beworben. Sie versprechen eine besondere Nähe zu
den Hauptprotagonisten. Diese (fiktive) Qualität der einschlägigen Schriften erfährt
durch die Autopsie der äußeren Gestalt der Heroen eine seriöse Beglaubigung. Es
geht hier also gerade nicht um ,wissenschaftliche4 Rekonstruktion des Aussehens wie
bei den peripatetischen Vorläufern, sondern um die Bestätigung des vermeintlichen
persönlichen Kontaktes, um das Mit-eigenen-Augen-gesehen-haben: ein Eindruck,
zu dem auch die schlichte Beschreibungsform beiträgt.53
Die zweite Gruppe der von Malalas beschriebenen Personen ist die mit Abstand
kleinste: Es handelt sich um lediglich zwei Personen von allerdings herausragender
Bedeutung für die christliche Chronographie, nämlich um die Apostel Petrus und
Paulus. Auch die physische Beschreibung von christlichen Heiligen ist keineswegs
ohne Vorbilder. Hier muss man jedoch abermals auf eine andere Tradition blicken,
nämlich auf diejenige der (von Malalas für seine Darstellung insbesondere der Regie-
rungszeit des Nero mit hoher Wahrscheinlichkeit benutzten) christlichen Apokry-
phen. Hervorzuheben ist hier insbesondere die berühmte Beschreibung des Paulus
in den um die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n.Chr. entstandenen Acta Pauli et
Theclae. Dieses Porträt wird aus der Perspektive eines gewissen Onesiphorus berichtet,
eines späteren Vertrauten des Paulus, der den Heiligen vor den Toren von Ikonion
(Kleinasien) empfangen will, ihn bisher aber nur aus der Erzählung von dessen Schü-
ler Titus kennt. Onesiphorus sieht einen kleinen, kahlköpfigen Mann mit krummen
Beinen, zusammengewachsenen Augenbrauen und Hakennase - Merkmale, die nach
modernen (und größtenteils wohl auch nach antiken) Kriterien nicht eben für äu-
ßere Schönheit stehen. Gleichzeitig wird Paulus jedoch positiv charakterisiert: Er ist
χάριτος πλήρης, „voller Anmut“; er sieht mal wie ein Mensch, mal wie ein Engel
aus. Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist also ein widersprüchliches. Es steht nicht
in Korrelation zu physiognomischen Deutungen, sondern vielmehr im Gegensatz zu
ihnen: Paulus besticht nicht durch Größe, Kraft und äußere Schönheit, wie es griechi-
schenberg (1908), S. 5 passim, sowie Beschorner (1992), S. 231-243, 254-263. Vgl. zur Diskussion mit
weiterer Literatur Garbugino (2011), S. 7 mit Anm. 10.
51 Dares, Historia XII-XIII.
52 Vgl. Philostratus, Heroicus 33,38; 48,1.
53 Dazu Misener (1924), S. 121, die hier eine direkte Anleihe an die Fotografie-ähnlichen Beschreibungen
der erwähnten Papyri (s.o. Abschnitt 3) erkennt.
Jonas Borsch
uma) einen Heldenkatalog, der allerdings eine deutlich stärker komprimierte Form
hat und der sich ganz auf die Beschreibung des Äußeren konzentriert. Ungeachtet
des angeblich troischen Standpunktes des fiktiven Informanten umfasst auch dieser
Katalog troische und griechische Helden gleichermaßen.51 Neben ihrem Gegenstand
haben die Passagen in den beiden Werken aber noch mehr gemeinsam. Insbesondere
bezeugen sie die Bedeutung, die das ,Sichtbarwerden4 der Heroen für die neuen, al-
ternativen Troja-Narrative hatte. In der Historia kommt das schon in der Menge der
einschlägigen Passagen zum Ausdruck; im Heroikos fallen sie zudem ganz ins Zent-
rum der Schrift und werden durch mehrfache Nachfragen eines der Dialogpartner ak-
zentuiert.52 Beide Schriften werden als bessere, weil von Augenzeugen verfasste Ver-
sionen der troischen Geschichte beworben. Sie versprechen eine besondere Nähe zu
den Hauptprotagonisten. Diese (fiktive) Qualität der einschlägigen Schriften erfährt
durch die Autopsie der äußeren Gestalt der Heroen eine seriöse Beglaubigung. Es
geht hier also gerade nicht um ,wissenschaftliche4 Rekonstruktion des Aussehens wie
bei den peripatetischen Vorläufern, sondern um die Bestätigung des vermeintlichen
persönlichen Kontaktes, um das Mit-eigenen-Augen-gesehen-haben: ein Eindruck,
zu dem auch die schlichte Beschreibungsform beiträgt.53
Die zweite Gruppe der von Malalas beschriebenen Personen ist die mit Abstand
kleinste: Es handelt sich um lediglich zwei Personen von allerdings herausragender
Bedeutung für die christliche Chronographie, nämlich um die Apostel Petrus und
Paulus. Auch die physische Beschreibung von christlichen Heiligen ist keineswegs
ohne Vorbilder. Hier muss man jedoch abermals auf eine andere Tradition blicken,
nämlich auf diejenige der (von Malalas für seine Darstellung insbesondere der Regie-
rungszeit des Nero mit hoher Wahrscheinlichkeit benutzten) christlichen Apokry-
phen. Hervorzuheben ist hier insbesondere die berühmte Beschreibung des Paulus
in den um die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n.Chr. entstandenen Acta Pauli et
Theclae. Dieses Porträt wird aus der Perspektive eines gewissen Onesiphorus berichtet,
eines späteren Vertrauten des Paulus, der den Heiligen vor den Toren von Ikonion
(Kleinasien) empfangen will, ihn bisher aber nur aus der Erzählung von dessen Schü-
ler Titus kennt. Onesiphorus sieht einen kleinen, kahlköpfigen Mann mit krummen
Beinen, zusammengewachsenen Augenbrauen und Hakennase - Merkmale, die nach
modernen (und größtenteils wohl auch nach antiken) Kriterien nicht eben für äu-
ßere Schönheit stehen. Gleichzeitig wird Paulus jedoch positiv charakterisiert: Er ist
χάριτος πλήρης, „voller Anmut“; er sieht mal wie ein Mensch, mal wie ein Engel
aus. Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist also ein widersprüchliches. Es steht nicht
in Korrelation zu physiognomischen Deutungen, sondern vielmehr im Gegensatz zu
ihnen: Paulus besticht nicht durch Größe, Kraft und äußere Schönheit, wie es griechi-
schenberg (1908), S. 5 passim, sowie Beschorner (1992), S. 231-243, 254-263. Vgl. zur Diskussion mit
weiterer Literatur Garbugino (2011), S. 7 mit Anm. 10.
51 Dares, Historia XII-XIII.
52 Vgl. Philostratus, Heroicus 33,38; 48,1.
53 Dazu Misener (1924), S. 121, die hier eine direkte Anleihe an die Fotografie-ähnlichen Beschreibungen
der erwähnten Papyri (s.o. Abschnitt 3) erkennt.