Schriftliche Bildnisse. Personalisierte Erinnerung in Malalas’ Porträts
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werteten Charakter des Kaisers.126 Dem Zeitgenossen Malalas, dessen Darstellung
schon dem Sprachduktus nach ganz anders, namentlich abermals schematischer, aus-
fällt, wird man ähnlichen Hintersinn wohl eher nicht zutrauen.127 Wenig überraschend
deuten die von Malalas gelisteten Merkmale in ihrer Tendenz auf ein eher positi-
ves Bild.128 In der Darstellung ergeben sich darüber hinaus angesichts der Vagheit
von Prokops Aussagen wenig Überschneidungen; zumindest eine ist jedoch auffällig:
Beide Autoren weisen auf jene runde Gesichtsform des Kaisers hin, die auch in der
berühmten Mosaikdarstellung Justinians in Ravenna deutlich hervortritt. Es muss an
dieser Stelle ins Gedächtnis gerufen werden, dass auch die bildlichen Darstellungen
natürlich nicht zwangsläufig ein „realitätsnäheres“ Bild der jeweiligen Person vermit-
teln und dass gerade die Münz- oder Mosaikbildnisse der (früh-)byzantinischen Kai-
ser zueinander jeweils in enger ikonographischer Beziehung stehen. Dennoch kann
man mit aller Vorsicht vermuten, dass diese Parallelen einem physischen Merkmal
Justinians entsprechen, das auch in der offiziellen Ikonographie Verbreitung fand und
vielleicht tatsächlich über diesen Weg zu Malalas gelangt ist.129
6. Malalas’ Porträts und die Erinnerungskultur im (frühen) Byzanz
Malalas’ Form der Darstellung ist, so zeigt der vorangegangene vergleichende Blick auf
Schriftporträts in der griechischen und lateinischen Literatur, sicher nicht unabhängig
von früheren Personenbeschreibungen entstanden. Das Verhältnis lässt sich jedoch
unter dem Stichwort der „Quellenverwendung“ nicht ideal subsumieren: Wir können
hier eher von einer Verwandtschaft als von einer direkten Vorbildfunktion sprechen.
Auffällig ist vor allen Dingen die Vielgestaltigkeit der Parallelen. Die Porträts in der
Chronographia gehen auf eine Vielzahl von Einflüssen, z.B. aus den Alternativge-
schichten4 des trojanischen Krieges, den Bibelapokryphen, der ,Kaisergeschichte4 und
womöglich auch aus Bildwerken zurück, die hier jedoch zu etwas Neuartigem ver-
schmolzen sind. Die Besonderheit besteht dabei darin, dass alle Porträtierten - seien
es Heroen, christliche Heilige oder Kaiser - in der gleichen, nach ähnlichen Krite-
rien gestalteten Weise präsentiert werden. Das ist, wenn man die Verschiedenartig-
keit der Vorläufer und Parallelen betrachtet, keineswegs selbstverständlich. Offenbar
liegt der Entstehung der Porträts ein Prozess der nicht nur sprachlichen Vereinheit-
lichung zugrunde. Schon durch die Tatsache, dass sie überhaupt porträtiert werden,
wird allen dargestellten Personen und Personengruppen eine besondere Bedeutung
126 Ähnliches gilt für Theodora, die in Prokops Darstellung ebenfalls durchweg negativ charakterisiert,
physisch aber als schön beschrieben wird (Procopius, Historia arcana 10,11). Für Leppin/Meier (2005),
S. 301 ist dieses aus dem Rahmen fallende Porträt „etwas unglücklich eingeschoben“.
127 Malalas, Chronographia XVIII1; vgl. oben Abschnitt 1.
128 Während die geringe Körpergröße kein besonders vorteilhaftes Merkmal bildet, kommt beispielsweise
bei gleich drei Bezugspunkten (Brust, Nase, Körperform) das Präfix εύ- zum Einsatz.
129 Vgl. die Einschätzung für Prokops Justinian-Porträt in Leppin/Meier (2005), S. 299: „Da Prokop sich
an Zeitgenossen wandte, dürfte seine Beschreibung Justinians durchaus realitätsnah sein.“ Zu mögli-
chen Verbindungen zwischen Malalas’Porträts und bildlichen Darstellungen Carrié (2006), S. 203-204.
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werteten Charakter des Kaisers.126 Dem Zeitgenossen Malalas, dessen Darstellung
schon dem Sprachduktus nach ganz anders, namentlich abermals schematischer, aus-
fällt, wird man ähnlichen Hintersinn wohl eher nicht zutrauen.127 Wenig überraschend
deuten die von Malalas gelisteten Merkmale in ihrer Tendenz auf ein eher positi-
ves Bild.128 In der Darstellung ergeben sich darüber hinaus angesichts der Vagheit
von Prokops Aussagen wenig Überschneidungen; zumindest eine ist jedoch auffällig:
Beide Autoren weisen auf jene runde Gesichtsform des Kaisers hin, die auch in der
berühmten Mosaikdarstellung Justinians in Ravenna deutlich hervortritt. Es muss an
dieser Stelle ins Gedächtnis gerufen werden, dass auch die bildlichen Darstellungen
natürlich nicht zwangsläufig ein „realitätsnäheres“ Bild der jeweiligen Person vermit-
teln und dass gerade die Münz- oder Mosaikbildnisse der (früh-)byzantinischen Kai-
ser zueinander jeweils in enger ikonographischer Beziehung stehen. Dennoch kann
man mit aller Vorsicht vermuten, dass diese Parallelen einem physischen Merkmal
Justinians entsprechen, das auch in der offiziellen Ikonographie Verbreitung fand und
vielleicht tatsächlich über diesen Weg zu Malalas gelangt ist.129
6. Malalas’ Porträts und die Erinnerungskultur im (frühen) Byzanz
Malalas’ Form der Darstellung ist, so zeigt der vorangegangene vergleichende Blick auf
Schriftporträts in der griechischen und lateinischen Literatur, sicher nicht unabhängig
von früheren Personenbeschreibungen entstanden. Das Verhältnis lässt sich jedoch
unter dem Stichwort der „Quellenverwendung“ nicht ideal subsumieren: Wir können
hier eher von einer Verwandtschaft als von einer direkten Vorbildfunktion sprechen.
Auffällig ist vor allen Dingen die Vielgestaltigkeit der Parallelen. Die Porträts in der
Chronographia gehen auf eine Vielzahl von Einflüssen, z.B. aus den Alternativge-
schichten4 des trojanischen Krieges, den Bibelapokryphen, der ,Kaisergeschichte4 und
womöglich auch aus Bildwerken zurück, die hier jedoch zu etwas Neuartigem ver-
schmolzen sind. Die Besonderheit besteht dabei darin, dass alle Porträtierten - seien
es Heroen, christliche Heilige oder Kaiser - in der gleichen, nach ähnlichen Krite-
rien gestalteten Weise präsentiert werden. Das ist, wenn man die Verschiedenartig-
keit der Vorläufer und Parallelen betrachtet, keineswegs selbstverständlich. Offenbar
liegt der Entstehung der Porträts ein Prozess der nicht nur sprachlichen Vereinheit-
lichung zugrunde. Schon durch die Tatsache, dass sie überhaupt porträtiert werden,
wird allen dargestellten Personen und Personengruppen eine besondere Bedeutung
126 Ähnliches gilt für Theodora, die in Prokops Darstellung ebenfalls durchweg negativ charakterisiert,
physisch aber als schön beschrieben wird (Procopius, Historia arcana 10,11). Für Leppin/Meier (2005),
S. 301 ist dieses aus dem Rahmen fallende Porträt „etwas unglücklich eingeschoben“.
127 Malalas, Chronographia XVIII1; vgl. oben Abschnitt 1.
128 Während die geringe Körpergröße kein besonders vorteilhaftes Merkmal bildet, kommt beispielsweise
bei gleich drei Bezugspunkten (Brust, Nase, Körperform) das Präfix εύ- zum Einsatz.
129 Vgl. die Einschätzung für Prokops Justinian-Porträt in Leppin/Meier (2005), S. 299: „Da Prokop sich
an Zeitgenossen wandte, dürfte seine Beschreibung Justinians durchaus realitätsnah sein.“ Zu mögli-
chen Verbindungen zwischen Malalas’Porträts und bildlichen Darstellungen Carrié (2006), S. 203-204.