Johannes Malalas und die Rezeption des Konzils von Chalkedon
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Konstantinopel. Dieser schaltete in die Diptychen der Kirchen einer jeden Stadt
die 630 Bischöfe der Synode von Chalkedon ein. Und deshalb trat eine große Kir-
chenspaltung ein, und viele hielten zu ihm keine Kirchengemeinschaft mehr; als
Grund geben sie an, daß die Anhänger der Synode die nestorianische Richtung
verträten.6
Volker Henning Drecoll hat kürzlich den in der Literatur unterstellten „miaphysiti-
schen Tendenzen“ des Malalas widersprochen? Drecolls Beispielen könnte die wider-
spruchslose Übernahme der überhöhten Anzahl von Konzilsteilnehmern als Mosaik-
stein hinzugefügt werden, die nicht für eine Opposition des Malalas gegen das Konzil
von Chalkedon spricht. Allerdings dürfte - wie Drecoll ausführt - die Diskussion ei-
ner möglichen pro- oder antichalkedonischen Haltung des Malalas nicht weit führen.
Die kirchenpolitischen Passagen im erhaltenen Werk des Malalas bleiben so dürftig,
dass sie keine klaren Rückschlüsse auf die Denomination des Malalas erlauben.8 Die
zweimalige Anführung der 630 Bischöfe mag schlicht bedeuten, dass Malalas offiziös-
chalkedonische Quellen benutzte bzw. dass im Fall der Diptycha eben die Zahl von
630 Bischöfen inkludiert wurde.9
Das „widerliche Zelotentum, das sich selbst in der kleinsten Chronik breit macht,
kennt er [Malalas] nicht. Er weiß nichts von theologischem Gezänke, nichts von
dogmatischen Streitigkeiten, nichts von den kirchlichen Bewegungen, die unter Ze-
non und Anastasios das Reich erschütterten“, formulierte schon Edwin Patzig im
sprachlichen Duktus des 19. Jahrhunderts treffend.10 Ähnlich - wenn auch nüchter-
ner - äußersten sich jüngst die Herausgeber der deutschen Malalas-Übersetzung in
ihrer Einleitung: „Ebenfalls ist in der Chronik ein überraschend deutliches Desin-
teresse des Autors an den brennenden religiösen Fragen seiner Zeit festzustellen.“11
Drecoll kommt in seiner bereits erwähnten Studie zum selben Schluss.12 Der Befund
befremdet insofern, als viele Texte der Zeit eine Welt zeigen, in der Christentum und
Frömmigkeit untrennbar mit - einer durchaus recht verschieden interpretierten -
„Orthodoxie“ einhergehen.13
6 Malalas, Chronographia XVII 6, S. 338; Übersetzung Thurn/Meier (2009), S. 425.
7 Drecoll (2016), S. 45-57; so auch schon Croke (1990). Für einen miaphysitischen Malalas argumentierte
zuletzt Blaudeau (2006), S. 243-256.
8 Blaudeau argumentiert für einen Malalas, der zwar gegen das Konzil von Chalkedon war, aber seine
Überzeugung in seinem Werk weitgehend maskierte.
9 Siehe umgekehrt Schulz (2016), S. 153-166, der für eine Skandalgeschichte unter Kaiser Theodosius II.
eine miaphysitische Urfassung ausmacht, die erst später chalkedonisch überarbeitet wurde. Auch hier
muss nicht zwangsläufig von einem miaphysitischen Malalas ausgegangen werden: der Autor kann
durchaus die Geschichte - ohne bewusste christologische Parteinahme - schlicht aus seiner Vorlage
übernommen haben.
10 Patzig (1898), S. 113.
ii Meier/Drosihn/Priwitzer (2009), S. 16.
12 Drecoll (2016), S. 55.
13 Whitby (2003), S. 492 stellt aber richtigerweise - in Bezug auf Kirchenhistoriker, die das Konzil von
Chalkedon behandeln - die „diversity of authors“ heraus.
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Konstantinopel. Dieser schaltete in die Diptychen der Kirchen einer jeden Stadt
die 630 Bischöfe der Synode von Chalkedon ein. Und deshalb trat eine große Kir-
chenspaltung ein, und viele hielten zu ihm keine Kirchengemeinschaft mehr; als
Grund geben sie an, daß die Anhänger der Synode die nestorianische Richtung
verträten.6
Volker Henning Drecoll hat kürzlich den in der Literatur unterstellten „miaphysiti-
schen Tendenzen“ des Malalas widersprochen? Drecolls Beispielen könnte die wider-
spruchslose Übernahme der überhöhten Anzahl von Konzilsteilnehmern als Mosaik-
stein hinzugefügt werden, die nicht für eine Opposition des Malalas gegen das Konzil
von Chalkedon spricht. Allerdings dürfte - wie Drecoll ausführt - die Diskussion ei-
ner möglichen pro- oder antichalkedonischen Haltung des Malalas nicht weit führen.
Die kirchenpolitischen Passagen im erhaltenen Werk des Malalas bleiben so dürftig,
dass sie keine klaren Rückschlüsse auf die Denomination des Malalas erlauben.8 Die
zweimalige Anführung der 630 Bischöfe mag schlicht bedeuten, dass Malalas offiziös-
chalkedonische Quellen benutzte bzw. dass im Fall der Diptycha eben die Zahl von
630 Bischöfen inkludiert wurde.9
Das „widerliche Zelotentum, das sich selbst in der kleinsten Chronik breit macht,
kennt er [Malalas] nicht. Er weiß nichts von theologischem Gezänke, nichts von
dogmatischen Streitigkeiten, nichts von den kirchlichen Bewegungen, die unter Ze-
non und Anastasios das Reich erschütterten“, formulierte schon Edwin Patzig im
sprachlichen Duktus des 19. Jahrhunderts treffend.10 Ähnlich - wenn auch nüchter-
ner - äußersten sich jüngst die Herausgeber der deutschen Malalas-Übersetzung in
ihrer Einleitung: „Ebenfalls ist in der Chronik ein überraschend deutliches Desin-
teresse des Autors an den brennenden religiösen Fragen seiner Zeit festzustellen.“11
Drecoll kommt in seiner bereits erwähnten Studie zum selben Schluss.12 Der Befund
befremdet insofern, als viele Texte der Zeit eine Welt zeigen, in der Christentum und
Frömmigkeit untrennbar mit - einer durchaus recht verschieden interpretierten -
„Orthodoxie“ einhergehen.13
6 Malalas, Chronographia XVII 6, S. 338; Übersetzung Thurn/Meier (2009), S. 425.
7 Drecoll (2016), S. 45-57; so auch schon Croke (1990). Für einen miaphysitischen Malalas argumentierte
zuletzt Blaudeau (2006), S. 243-256.
8 Blaudeau argumentiert für einen Malalas, der zwar gegen das Konzil von Chalkedon war, aber seine
Überzeugung in seinem Werk weitgehend maskierte.
9 Siehe umgekehrt Schulz (2016), S. 153-166, der für eine Skandalgeschichte unter Kaiser Theodosius II.
eine miaphysitische Urfassung ausmacht, die erst später chalkedonisch überarbeitet wurde. Auch hier
muss nicht zwangsläufig von einem miaphysitischen Malalas ausgegangen werden: der Autor kann
durchaus die Geschichte - ohne bewusste christologische Parteinahme - schlicht aus seiner Vorlage
übernommen haben.
10 Patzig (1898), S. 113.
ii Meier/Drosihn/Priwitzer (2009), S. 16.
12 Drecoll (2016), S. 55.
13 Whitby (2003), S. 492 stellt aber richtigerweise - in Bezug auf Kirchenhistoriker, die das Konzil von
Chalkedon behandeln - die „diversity of authors“ heraus.