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Internationale Tagung "Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur" <2016, Tübingen>; Borsch, Jonas [Editor]; Gengler, Olivier [Editor]; Meier, Mischa [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 3): Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2019

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III. Ausformungen kirchlicher memoria
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Menze, Volker: Johannes Malalas, die Rezeption des Konzils von Chalkedon und die christlichen milieux de mémorie im 6. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.61687#0143
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Volker Menze

stand der Nichtchalkedonier im Osten beschäftigt war. Am 15. Februar 453 drängte
Kaiser Markian den Papst, endlich das Konzil öffentlich als orthodox zu bestätigen.49
Erst am 21. März 453 schrieb Leo an Kaiser Markian, dass er die definitiones des Kon-
zils, die auf dem päpstlichen Glaubensbekenntnis beruhen, natürlich gutheiße, aber
Leo bestand weiterhin darauf, dass auch die kirchlichen Vorrechte (vor allem Roms),
die das Konzil von Nizäa festgelegt hatte, erhalten bleiben müssten.50 Es scheint aber,
dass Leo in den folgenden Jahren das Ergebnis des Konzils und die Unterstützung
Konstantinopels für das Konzil und die päpstliche Glaubensformel mehr und mehr zu
schätzen wusste, nachdem ihm die Wucht des östlichen Widerstandes gegen Chalke-
don und die Glaubensformel deutlich wurde.51
Es bleibt festzuhalten, dass in den ersten Jahren auch aus dem Westen Widerstand
gegen Chalkedon kam und Papst Leo überraschend spät sein Plazet zu einem Konzil
gab, dem er selbst theologisch seinen Stempel aufgedrückt hatte.52 Die päpstliche
Zustimmung kam zustande, ohne dass der Papst die gesta des Konzils gelesen hätte,
und die erste lateinische Übersetzung wurde wohl erst im Zuge der Dreikapitelkont-
roverse in den 540er Jahren angefertigt.53 Mit anderen Worten, die Päpste agierten in
den ersten Jahrzehnten nach dem Konzil „pro-chalkedonisch“, ohne den Wortlaut des
Konzils überhaupt jemals gelesen zu haben.54
Wie verbreitet die gesta des Konzils nach 451 waren - und damit überhaupt gelesen
werden konnten -, dürfte heute kaum mehr rekonstruierbar sein. Einige Äußerungen
in den Quellen deuten allerdings darauf hin, dass vollständige Versionen wohl kaum
weit verbreitet waren. Alypios, Bischof von Cäsarea in Kappadokien, behauptet im
Jahre 458, dass er wenig zum Konzil sagen könne, da er die gesta nie gelesen habe und
sein Vorgänger Thalassios keinen Bericht, sondern nur die Glaubensdefinition mitge-
bracht habe.55 Auch wenn es sich um eine diplomatische Ausrede handeln könnte, ist
es sehr unwahrscheinlich, dass außerhalb Konstantinopels viele vollständige Versionen
zirkulierten.56 Selbst in Konstantinopel dürften nur wenige Exemplare oder Versionen
archiviert gewesen sein: Kaiser Anastasios (491-518) versuchte anscheinend auf dem

49 ACO II i, S. 257 (Price/Gaddis (2005) Bd. 3, S. 150-151). 452 hatte der Papst zwar an Markian wie auch
an Anatolios geschrieben, aber er beschäftigte sich hauptsächlich mit dem 28. Kanon - das Ergebnis
des Konzils war für ihn Nebensache.

50 Leo ep. 115 (ACO II4, S. 67-68).

51 So beruft sich Leo in späteren Briefen (z.B. in ep. 164 an Kaiser Leo aus dem Jahr 458, ACO II 4,
S. 110-112) auf Chalkedon ohne auf den Zwist um die Stellung Konstantinopels einzugehen.

52 Leo ep. 114 (ACO II 4, S. 70-71).

53 Zu den drei lateinischen Übersetzungen und ihren Datierungen siehe ACO II 3,1, S. vi-xiii; II 3,2,
S. v-vii; II 3,3, S. v-xxiii und Price/Gaddis (2005) Bd. 1, S. 83-85.

54 Von einer Übersetzung durch Julian von Kos oder andere Vertraute Leos (oder der nachfolgenden)
Päpste ist zumindest nichts bekannt.

55 ACO II5, S. 76. Es dürften aber einige Zusammenfassungen des Konzils kursiert haben, die dann auch
in späteren Chroniken und Kirchengeschichten Eingang fanden.

56 Siebigs (2010), S. 407-408 hält Alypios’ Behauptung für eine diplomatische Ausrede. Liberatus läßt in
sein Breviarium einfliessen, dass er - um die Mitte des 6. Jh. - in Alexandria eine lateinische Überset-
zung der Akten erstand (ACO II 5, S. 119). Ob es sich dabei um die vollständigen gesta handelt oder
eine Zusammenfassung, lässt sich nicht sagen.
 
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