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Olivier Gengier
- είτε τις καί είς τάς δευτέρας άρχάς θεωρήσειε
„oder betrachtet man auch den zweiten Ursprung ...“
- είτε καί τα τρίτα προοίμια λάβοι τις τής βασιλείας
„oder nimmt man auch den dritten Anfang des Reiches an...“
Die enunziative Verankerung in der Gegenwart wird regelmäßig betont (ή μΐν, ή μεΐς
... καλούμεθα, ήμΐν, νυν), genauso wie die Überbrückung zwischen Vergangen-
heit und Gegenwart (έξάρχει, εξ εκείνου, εξ ου, εξ εκείνων). So werden insbe-
sondere die drei Anfänge des römischen Staates in Bezug auf die justinianische Zeit
betrachtet: Gründung des Staates durch Aneas, Gründung Roms durch Romulus und
Gesetzgebung des Numa, tatsächliche Gründung der Kaiserherrschaft durch Cäsar
und Augustus. Die Zweideutigkeit des Begriffes βασιλεύς erlaubt es, die Kontinu-
ität von Aneas über Romulus und Numa bis Justinian zu inszenieren.48 Die politeia
wird schrittweise zur basileia assimiliert. Jede Figur der Vergangenheit wird auch als
Eponym dargestellt, weil das Gesetz die Ausschmückung der Jahresangabe mit Justin-
ians Namen betrifft, aber auch weil die Etymologie wiederum die Gegenwart mit der
Vergangenheit verbindet und eine Art sprachlicher memoria bildet: Aneas als Eponym
des dynastischen Namens Aneaden, Romulus für Rom, Cäsar und Augustus für die
gleichnamigen Kaisertitel. Die Rolle Numas in der Entstehung Roms wird interes-
santerweise explizit geäußert: Während Romulus die Stadt physisch erbaut, gründet
Numa Rom politisch mit seiner Gesetzgebung und übernimmt dadurch eine Rolle,
die Justinian auf hervorragende Weise wieder aufgenommen hat.
Laut Honoré müssen die Hinweise auf die Vergangenheit in der Gesetzgebung
Justinians dem quaestor Tribonian zugeschrieben werden. Ihm sei die Belesenheit
zuzurechnen, die sich in zahlreichen während seiner Amtszeiten erlassenen gesetz-
lichen Texten spüren lässt. Am Ende unserer Analyse zeigt sich jedoch, dass die An-
spielungen auf die Geschichte Roms in den Provinzgesetzen nicht bloß pedantischer
Gelehrtheit entsprechen, sondern Ausdruck einer weitreichenden Absicht sind. Die
Wörter stammen wahrscheinlich von Tribonian - der Diskurs jedoch geht auf Justi-
nian zurück.49 Natürlich war Tribonian der richtige Mann, um die Reformgesetze zu
entwerfen. Dennoch war es Justinian, der ihn damit beauftragte.
Nachdem Justinian die Krise des Nika-Aufstands überstanden hatte, öffnen die
Abfertigung der Digesten und der Institutionen, die Rückeroberung Afrikas und
die Verkündigung des Codex in seiner zweiten Fassung neue Perspektiven und neue
Hoffnungen.50 Der Kaiser nutzte die Gelegenheit nicht nur, um Reformen einzu-
führen, sondern auch, um seine Macht in einem römischen Rahmen zu inszenieren
und dadurch zu verstärken. Laut Charlotte Roueché zeigen die Provinzgesetze, dass
48 Die lateinische Fassung des Authenticums (S. 283,23-24 SchölVKroll) hat hier: Aeneas nobis Troianus
rex reipublicae princeps.
49 Maas (1986), S. 27; Roueché (1998), S. 86-87.
50 Siehe dazu Meier (2003), S. 101-233.
Olivier Gengier
- είτε τις καί είς τάς δευτέρας άρχάς θεωρήσειε
„oder betrachtet man auch den zweiten Ursprung ...“
- είτε καί τα τρίτα προοίμια λάβοι τις τής βασιλείας
„oder nimmt man auch den dritten Anfang des Reiches an...“
Die enunziative Verankerung in der Gegenwart wird regelmäßig betont (ή μΐν, ή μεΐς
... καλούμεθα, ήμΐν, νυν), genauso wie die Überbrückung zwischen Vergangen-
heit und Gegenwart (έξάρχει, εξ εκείνου, εξ ου, εξ εκείνων). So werden insbe-
sondere die drei Anfänge des römischen Staates in Bezug auf die justinianische Zeit
betrachtet: Gründung des Staates durch Aneas, Gründung Roms durch Romulus und
Gesetzgebung des Numa, tatsächliche Gründung der Kaiserherrschaft durch Cäsar
und Augustus. Die Zweideutigkeit des Begriffes βασιλεύς erlaubt es, die Kontinu-
ität von Aneas über Romulus und Numa bis Justinian zu inszenieren.48 Die politeia
wird schrittweise zur basileia assimiliert. Jede Figur der Vergangenheit wird auch als
Eponym dargestellt, weil das Gesetz die Ausschmückung der Jahresangabe mit Justin-
ians Namen betrifft, aber auch weil die Etymologie wiederum die Gegenwart mit der
Vergangenheit verbindet und eine Art sprachlicher memoria bildet: Aneas als Eponym
des dynastischen Namens Aneaden, Romulus für Rom, Cäsar und Augustus für die
gleichnamigen Kaisertitel. Die Rolle Numas in der Entstehung Roms wird interes-
santerweise explizit geäußert: Während Romulus die Stadt physisch erbaut, gründet
Numa Rom politisch mit seiner Gesetzgebung und übernimmt dadurch eine Rolle,
die Justinian auf hervorragende Weise wieder aufgenommen hat.
Laut Honoré müssen die Hinweise auf die Vergangenheit in der Gesetzgebung
Justinians dem quaestor Tribonian zugeschrieben werden. Ihm sei die Belesenheit
zuzurechnen, die sich in zahlreichen während seiner Amtszeiten erlassenen gesetz-
lichen Texten spüren lässt. Am Ende unserer Analyse zeigt sich jedoch, dass die An-
spielungen auf die Geschichte Roms in den Provinzgesetzen nicht bloß pedantischer
Gelehrtheit entsprechen, sondern Ausdruck einer weitreichenden Absicht sind. Die
Wörter stammen wahrscheinlich von Tribonian - der Diskurs jedoch geht auf Justi-
nian zurück.49 Natürlich war Tribonian der richtige Mann, um die Reformgesetze zu
entwerfen. Dennoch war es Justinian, der ihn damit beauftragte.
Nachdem Justinian die Krise des Nika-Aufstands überstanden hatte, öffnen die
Abfertigung der Digesten und der Institutionen, die Rückeroberung Afrikas und
die Verkündigung des Codex in seiner zweiten Fassung neue Perspektiven und neue
Hoffnungen.50 Der Kaiser nutzte die Gelegenheit nicht nur, um Reformen einzu-
führen, sondern auch, um seine Macht in einem römischen Rahmen zu inszenieren
und dadurch zu verstärken. Laut Charlotte Roueché zeigen die Provinzgesetze, dass
48 Die lateinische Fassung des Authenticums (S. 283,23-24 SchölVKroll) hat hier: Aeneas nobis Troianus
rex reipublicae princeps.
49 Maas (1986), S. 27; Roueché (1998), S. 86-87.
50 Siehe dazu Meier (2003), S. 101-233.