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Bandini, Ditte [Hrsg.]; Hinüber, Oskar von [Hrsg.]; Dickoré, Wolf Bernhard [Hrsg.]
Die Felsbildstationen Shing Nala und Gichi Nala — Materialien zur Archäologie der Nordgebiete Pakistans, Band 4: Mainz, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.37089#0074
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56

Shing Nala

Stellungen von Tieren, die am Oberen Indus nicht heimisch sind. Abgebildet sind Caprini, ein Hund und einige we-
nige nicht näher bestimmbare285 Tiere. Nicht dargestellt sind Kamele und Elefanten, wie sie aus Shatial, Löwen
(außer denen auf den Säulenkapitellen), wie sie aus Hodar, und bemerkenswerterweise auch überhaupt keine ein-
deutig zu identifizierenden Pferde, wie sie aus fast allen anderen Stationen bekannt sind. Darüber hinaus gibt es
mit nur jeweils drei Beispielen wenige Krieger und Reiter (verglichen mit fast 200 in Hodar), und überhaupt keine
Jäger, Fehden (in Hodar sind es fast 50) und entsprechende Tierszenen.
Aus diesen Beobachtungen läßt sich vielleicht folgendes ablesen: Anders als Hodar war Shing Nala in vorchristli-
cher Zeit am Talausgang möglicherweise nicht bewohnt.286 Zu dieser Vermutung passend liegt Shing Nala nicht,
wie Hodar oder Thalpan, an einem der für den Indus typischen fruchtbaren Schwemmfächer, die eine größere An-
siedlung ermöglichen, da hier Feldbau oder Viehzucht in größerem Umfang problemlos betrieben werden kann.
Die wenigen künstlich bewässerten Grünflächen bei Shing Nala lassen nur eine begrenztere Ansiedlung zu. Aller-
dings wird an Resten von Umfassungsmauern in der Sandfläche um die Schule deutlich, daß früher mehr Gelände
bewässert wurde und daher vermutlich auch mehr Gehöfte existierten als heutzutage. Demgegenüber wurden in
Shing Nala im Bereich der Felsrippe außer den Felsbildem selbst keine archäologischen Reste beobachtet. Fest
steht zudem, daß hier keine alte Festung (wie Kino Kot in Hodar) bestand, die Shing Nala als Ort besondere Be-
deutung verliehen hätte.
Die Inschriften von Shing Nala sind im wesentlichen in den Zeitraum zwischen 400 und 600 n. Chr. zu datieren,
wobei einige früher anzusetzen sind und die übrigen eher um 500 als um 400 oder 600 entstanden sein dürften. Da
die Herstellung der aufwendigeren Ritzungen von Shing Nala einige Zeit in Anspruch genommen haben muß, ist
davon auszugehen, daß sich hier nicht Reisende im Vorübergehen auf diese Weise verewigten. Gegen eine solche
Möglichkeit spricht auch, daß sich einige Namen wiederholen, allen voran der des Ratnapriya, der viermal in-
schriftlich und mit dazugehörigen Stüpa-Zeichnungen seine Anwesenheit in Shing Nala bezeugte.
Die ebenfalls zu erwägende Möglichkeit, daß eine große Gruppe buddhistischer Reisender, beispielsweise Pilger,
vielleicht wegen schlechter Witterungsverhältnisse in Shing Nala mehrere Tage festsaß, ist nicht völlig auszu-
schließen. Daß allerdings eine Brücke an dieser auffallenden Engstelle des Indus der Grund dafür gewesen sein
könnte, ist nicht wahrscheinlich. Wenn diese Brücke so bekannt gewesen wäre, daß Reisende ihretwegen einen be-
trächtlichen Umweg in Kauf nahmen, dürfte man zum einen mehr Gravuren erwarten.287 Außerdem wäre eine sol-
che Brücke gerade von Händlern, die ihre Ware trockenen Fußes über den Fluß transportieren wollten, benutzt
worden. In Shing Nala gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, daß Sogdier oder andere Händler, oder überhaupt
sehr unterschiedliche Personengruppen hier vorbeigekommen wären. Zum anderen müßte es sich angesichts 250
im wesentlichen buddhistischer Gravuren um eine ziemlich große Reisegruppe oder aber eine ganze Anzahl davon
gehandelt haben - selbst, wenn einige der eher minderwertigen Ritzungen von Einheimischen angefertigt worden
wären.
Auf eine weitere wesentliche Besonderheit des Felsbildkomplexes ist einzugehen: Die buddhistischen Gravuren
konzentrieren sich auffallend um eine Gletschermühle, deren Durchmesser mehrere Meter beträgt, deren eine dem

285 Weil die Steinoberfläche abgerieben ist oder weil die Ritzungen unvollendet blieben.
286 Natürlich könnten die Menschen damals auch schlicht keine Neigung verspürt haben, Felszeichnungen anzufertigen. Allerdings
wäre es angesichts der vielen anderen Fundplätze, in denen in der Regel durchaus früh- und sogar prähistorische Gravuren zu
registrieren sind, sehr ungewöhnlich, wenn ausgerechnet die in Shing Nala für Ritzungen so geeigneten Steine ungenutzt ge-
blieben wären.
287 Nach Berichten britischer Reisender des 19. und Anfang des 20. Jh. finden sich an den wesentlichen Brücken- bzw. Flußüber-
gängen des Oberen Indus Felsbilder (JETTMAR, 1978: 59, spricht von “Brückenheiligtümem”)- Vgl. etwa BlASUTTl/DArNELLI
1925: Tafel XIX (Gravuren am Brückenübergang von Khalatse, die auch in vielen anderen Reiseberichten erwähnt sind, z.B.
beiDUNCAN 1906: 140;FRANCKE 1986: 54); CONWAY 1894: 622, 671; de TERRA 1940: 206; FRANCKE 1986: 7; vgl. auch die
Felsbilder bei Alam Bridge, in etwa dort, wo der Gilgit-Fluß in den Indus mündet (FUSSMAN 1978).
 
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