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Bandini, Ditte [Hrsg.]; Hinüber, Oskar von [Hrsg.]; Dickoré, Wolf Bernhard [Hrsg.]
Die Felsbildstationen Shing Nala und Gichi Nala — Materialien zur Archäologie der Nordgebiete Pakistans, Band 4: Mainz, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.37089#0128
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GICHI NALA - RASTPLATZ UND SIEDLUNG

Der am Südufer des Indus gelegene Felsbildkomplex Gichi Nala zerfällt in zwei Teile, einen westlichen, entlang
des alten Weges, und einen östlichen, der sich um den Talausgang konzentriert, dort, wo der kleine Gichi-Fluß in
den Indus mündet. Daher ist Gichi Nala einerseits mit Oshibat zu vergleichen, einer ‘Durchgangsstation’ und
andererseits mit Shing Nala und Hodar, die beide mit Siedlungen in Zusammenhang zu bringen sind.
Im Unterschied zu Oshibat, das (obgleich im wesentlichen eine Wegestation) einen Kern besitzt, Stein 18, der ver-
mutlich ein altes Heiligtum war - ist für den westlichen Teil von Gichi Nala kein entsprechendes Zentrum auszu-
machen. Die Gravuren verteilen sich vielmehr gleichmäßig entlang des alten Weges. Es finden sich dennoch einige
auffällige Übereinstimmungen mit Oshibat, was das Auftreten und auch das Fehlen bestimmter Gravuren angeht:
Hier wie dort gibt es in vergleichsweise großer Anzahl prähistorische Hand- und Fußabdrücke sowie Riesendar-
stellungen. In Oshibat sind einige von diesen auf dem ‘heiligen’ Stein 18 angebracht, einige weitere aber auf ande-
ren Steinen - und so läßt sich auch in Gichi Nala eine lokale Konzentration erkennen. Ein Grund, warum sie aus-
gerechnet an der jeweiligen Stelle eingepickt wurden, wie etwa ein sich von den umliegenden abhebender Stein,
läßt sich allerdings nicht erkennen. Sowohl die Hand- und Fußabdrücke als auch die Riesen finden sich auf am
alten Weg gelegenen Steinen, die sich in nichts von den umliegenden zu unterscheiden scheinen.
In Gichi Nala (wie in Oshibat) ist weiterhin, passend zum kurzen Aufenthalt der Personen, die sich dort verewig-
ten, festzustellen, daß es im westlichen Teil (bis auf die Riesen) keine aufwendigen, künstlerisch anspruchsvollen
Gravuren gibt, die eine längere Herstellungszeit erforderten. Festzuhalten ist auch, daß in Gichi Nala zwar nur eine
einzige sogdische Inschrift zu verzeichnen ist, dafür aber auf demselben Stein etwa zehn Brähmi-Inschriften, die
iranische Namen dokumentieren und mithin von (sogdischen?)519 Händlern stammen könnten. Es finden sich keine
Kharosthi-Inschriffen, keine chinesischen, mittelpersischen oder baktrischen Inschriften, dafür aber die einzige bis-
lang am Oberen Indus beobachtete hebräische Inschrift, die offenbar von Händlern herrührt.
Im westlichen Teil von Gichi Nala fehlen wie in Oshibat auch Tierstilzeichnungen sowie solche, die im achämeni-
dischen Stil wiedergegeben sind. Es gibt keine der für Hodar so typischen Fehden (in Oshibat einen einzigen) und
die damit verbundenen Tierverfolgungsszenen sowie nur ein gehörntes(?) anthropomorphes Wesen. Nicht vor-
handen sind aufwendige Darstellungen von ortsfremden Tieren, wie sie in Shatial und auch in Chilas II zu beob-
achten sind. Das einzige “Kamel” könnte ebensogut ein gesatteltes Pferd vorstellen. Im westlichen Teil wurden
auch sehr wenige Darstellungen von Scheiben und, wie in Oshibat, überhaupt keine Äxte dokumentiert.
In diesem Teil des Felsbildkomplexes ist bis auf eine einzige Stüpa-Gravur keine bemerkenswerte buddhistische
Darstellung zu verzeichnen. Dafür wurden auf einem Stein nebeneinander eine Reihe von Ornamenten, die in der
sasanidisch/sogdischen Kunst häufig anzutreffenden Halbpalmetten, eingepickt. Da dieser Stein zudem nicht weit
von dem entfernt ist, auf dem sich die iranischen Namen finden, könnte ein Zusammenhang mit den Sogdiern na-
heliegen. Für das westliche Gichi Nala charakteristisch aber ist das klare Überwiegen von Inschriften gegenüber
bildlichen Darstellungen. Etwa zwei Drittel der in ganz Gichi Nala registrierten Brähmi-Inschriften finden sich
hier, wobei deutlich wird, daß die Personen, die hier entlangkamen, nicht alle denselben Platz zu einer Rast be-
nutzten. Um eine direkt am alten Weg gelegene, für einen Aufenthalt wie geschaffene Gletschermühle herum fan-
den sich wenige Gravuren, am westlichen Berghang dagegen, der keine vergleichbare Nische zu bieten hat, sind
sehr viele Inschriften zu verzeichnen. Im Falle von diesem Teil des Felsbildkomplexes Gichi Nala läßt sich also
das oft zu beobachtende Phänomen, daß sich Ritzungen auf einer Stelle häufen, nicht bestätigen.520

519 Vgl. Sims-Williams 1997: 71.
520 Vgl. oben S. 47.
 
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