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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0116
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Stellenkommentar Erstes Buch, KSA 3, S. 28-29 101

Generell interessierte sich N. im Zusammenhang mit seiner ,genealogischen'
Subversion der Moral, die er später in der Genealogie der Moral radikalisiert,
für diese bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende Ursprungsthematik. Damit
entspricht er einer zeitgenössischen Tendenz. Die Rückwendung zu urge-
schichtlichen, frühgeschichtlichen oder ,primitiven' Zuständen schlug sich in
zahlreichen Schriften nieder. Die meisten der folgenden Werke erwarb N. für
seine persönliche Bibliothek: Walter Bagehot: Der Ursprung der Nationen. Be-
trachtungen über den Einfluß der natürlichen Zuchtwahl und der Vererbung auf
die Bildung politischer Gemeinwesen (1874); Otto Caspari: Die Urgeschichte der
Menschheit mit Rücksicht auf die natürliche Entwickelung des frühesten Geistes-
leben (1873, 2. Aufl. 1877); Julius Lippert: Die Religionen der europäischen Cul-
turvölker, der Litauer, Slaven, Germanen, Griechen und Römer in ihrem ge-
schichtlichen Ursprünge (1881); Guyau, Jean Marie: De l'origine des religions
(1879; Paul Ree: Der Ursprung der moralischen Empfindungen, Chemnitz (1877);
Jacob Wackernagel: Über den Ursprung des Brahmanismus (1877); Moritz von
Engelhardt: Das Christenthum Justins des Märtyrers. Eine Untersuchung über die
Anfänge der katholischen Glaubenslehre (1878); [Friedrich] Max Müller: Vorle-
sungen über den Ursprung und die Entwickelung der Religion, mit besonderer
Rücksicht auf die Religionen des alten Indiens (1880); Albert Hermann Post: Die
Geschlechtsgenossenschaft der Urzeit und die Entstehung der Ehe (1875); Albert
Hermann Post: Der Ursprung des Rechts ( 1876); Albert Hermann Post: Die An-
fänge des Staats- und Rechtslebens (1878); Gustav Roskoff: Das Religionswesen
der rohesten Naturvölker (1880). Aus dem zuletzt genannten Werk übernimmt
N. die folgenden Beispiele aus den Bräuchen der Kamtschadalen, eines altsibi-
rischen Fischervolks auf der Halbinsel Kamtschatka. Roskoff schreibt:
„Wenn die Kamtschadalen es für eine grosse Sünde halten, sich in heissen
Quellen zu baden oder denselben zu nahen, den Schnee mit dem Messer aus-
serhalb der Behausung von den Schuhen abzuschaben, eine Kohle mit dem
Messer aufzuspiessen, um Taback anzuzünden u. dgl. m., so wird der Ethnolog
durch den Begriff der Sünde, der mit diesen Handlungen in Verbindung gesetzt
ist, zu der Vermuthung eines religiös-sittlichen Grundes, welcher jene Hand-
lungen als sündhaft und darum als verboten erscheinen lässt, sich hingedrängt
fühlen, obschon der Zusammenhang nicht zu Tage liegt und der Kamtschadale
selbst keinen Aufschluss zu geben vermag. Dagegen pflegen Reisende derlei
Sitten in die Rubrik ,Aberglaube' zu setzen, worunter sie gewöhnlich alle Ge-
bräuche und Anschauungen verstehen, die mit den unserigen nicht überein-
stimmen, deren Ursprung und Bedeutung nicht einleuchtet, daher unerklärlich
erscheint, ja dass selbst das ganze Religionswesen der Wilden als Aberglaube
zusammengefasst wird. Sir John Lubbock gesteht ganz offen: ,Ich habe anfangs
geschwankt, ob ich nicht bei der Aufschrift dieses Kapitels (über die Religion
 
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