170 Morgenröthe
ten Lehre wurde, sondern gerade als Mythologie in der Sphäre des Dichterisch-
Unverbindlichen geblieben sei. Dass er dies auf die „Feinheit" eines geistigen
„Tacts" zurückführt, dürfte auch an der suspensiv-hypothetischen Funktion
der von Platon in seine Dialoge eingefügten Mythen liegen.
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80, 27 Die christlichen Interpreten des Leibes.] Hier schlägt N. wie-
der das Generalthema an, das er schon im Untertitel der Morgenröthe - „Ge-
danken über die moralischen Vorurtheile" - exponiert. Moralische Wertungen
erscheinen aufgrund der physiologischen Ursachen nur als Vorurteile. Die Mo-
ral gilt einer physiologischen Ätiologie sogar grundsätzlich als vorurteilshaft.
Daher die Infragestellung der fundamentalen moralischen Wertungen „gut"
und „böse" (81, 3 f.) und der mit ihnen verbundenen religiösen Vorstellungen
„Gott" und „Teufel" (81, 3). Pascal ist für N. das Paradigma der irrtümlich mo-
ralischen und religiösen Interpretation von eigentlich natürlich, nämlich aus
Funktionen und Fehlfunktionen des „Leibes" zu erklärenden Ursachen. Zu-
gleich wird an Pascal demonstriert, wie sich die Menschen aufgrund ihrer reli-
giös und moralisch präokkupierten Vorstellungen quälen und zu welchen geis-
tigen Verrenkungen dies führt (81, 5 f.): „Wie er sein System winden und quälen
muss!"
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81, 9 Das sittliche Wunder.] „Das Christenthum kennt im Sittlichen nur
das Wunder [...] Es fasst dieses Phänomen als die Wirkung Gottes und nennt
es den Act der Wiedergeburt" (81, 13 f.). Mit diesen Aussagen spielt N. auf die
Taufe an, die in mehreren Texten des Neuen Testaments als „Wiedergeburt"
oder sogar „Auferstehung" zu einem ganz neuen, weil vom Geist Gottes erfüll-
ten Leben verstanden wird, besonders im Johannesevangelium, wo Jesus im
Gespräch mit Nicodemus sagt: „Wahrlich, wahrlich ich sage dir: wer nicht aus
dem Wasser und dem Geist wiedergeboren wird, kann nicht in das Reich Gottes
eingehen" (έάν μή τις γεννηθη έξ ύδατος καί πνεύματος, ού δύναται είσελθεΐν
εις τήν βασιλείαν του θεού - „nisi quis renatus fuerit ex aqua, et Spiritu sancto,
non potest introire in regnum Dei"; Joh. 3, 5). Im 1. Petrus-Brief heißt es, dass
Gott „uns wiedergeboren hat zur lebendigen Hoffnung durch die Auferste-
hung Jesu Christi von den Toten" (άναγεννήσας ήμάς είς έλπίδα ζώσαν δι'
άναστάσεως Ίησοϋ Χριστού έκ νεκρών - „regeneravit nos in spem vivam, per
resurrectionem lesu Christi ex mortuis"; 1. Petrus, 1, 3) Der Titus-Brief (3, 4-7)
ten Lehre wurde, sondern gerade als Mythologie in der Sphäre des Dichterisch-
Unverbindlichen geblieben sei. Dass er dies auf die „Feinheit" eines geistigen
„Tacts" zurückführt, dürfte auch an der suspensiv-hypothetischen Funktion
der von Platon in seine Dialoge eingefügten Mythen liegen.
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80, 27 Die christlichen Interpreten des Leibes.] Hier schlägt N. wie-
der das Generalthema an, das er schon im Untertitel der Morgenröthe - „Ge-
danken über die moralischen Vorurtheile" - exponiert. Moralische Wertungen
erscheinen aufgrund der physiologischen Ursachen nur als Vorurteile. Die Mo-
ral gilt einer physiologischen Ätiologie sogar grundsätzlich als vorurteilshaft.
Daher die Infragestellung der fundamentalen moralischen Wertungen „gut"
und „böse" (81, 3 f.) und der mit ihnen verbundenen religiösen Vorstellungen
„Gott" und „Teufel" (81, 3). Pascal ist für N. das Paradigma der irrtümlich mo-
ralischen und religiösen Interpretation von eigentlich natürlich, nämlich aus
Funktionen und Fehlfunktionen des „Leibes" zu erklärenden Ursachen. Zu-
gleich wird an Pascal demonstriert, wie sich die Menschen aufgrund ihrer reli-
giös und moralisch präokkupierten Vorstellungen quälen und zu welchen geis-
tigen Verrenkungen dies führt (81, 5 f.): „Wie er sein System winden und quälen
muss!"
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81, 9 Das sittliche Wunder.] „Das Christenthum kennt im Sittlichen nur
das Wunder [...] Es fasst dieses Phänomen als die Wirkung Gottes und nennt
es den Act der Wiedergeburt" (81, 13 f.). Mit diesen Aussagen spielt N. auf die
Taufe an, die in mehreren Texten des Neuen Testaments als „Wiedergeburt"
oder sogar „Auferstehung" zu einem ganz neuen, weil vom Geist Gottes erfüll-
ten Leben verstanden wird, besonders im Johannesevangelium, wo Jesus im
Gespräch mit Nicodemus sagt: „Wahrlich, wahrlich ich sage dir: wer nicht aus
dem Wasser und dem Geist wiedergeboren wird, kann nicht in das Reich Gottes
eingehen" (έάν μή τις γεννηθη έξ ύδατος καί πνεύματος, ού δύναται είσελθεΐν
εις τήν βασιλείαν του θεού - „nisi quis renatus fuerit ex aqua, et Spiritu sancto,
non potest introire in regnum Dei"; Joh. 3, 5). Im 1. Petrus-Brief heißt es, dass
Gott „uns wiedergeboren hat zur lebendigen Hoffnung durch die Auferste-
hung Jesu Christi von den Toten" (άναγεννήσας ήμάς είς έλπίδα ζώσαν δι'
άναστάσεως Ίησοϋ Χριστού έκ νεκρών - „regeneravit nos in spem vivam, per
resurrectionem lesu Christi ex mortuis"; 1. Petrus, 1, 3) Der Titus-Brief (3, 4-7)