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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0199
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184 Morgenröthe

unmittelbar von La Rochefoucauld adaptierte und was er durch die Vermitt-
lung Paul Rees übernahm. Zur genaueren Charakterisierung La Rochefou-
caulds und Rees vgl. den Überblickskommentar zu den „Quellen" S. 15 f. Schon
von seiner früheren Schopenhauer-Lektüre her war N. mit La Rochefoucauld
gut vertraut, den Schopenhauer hoch schätzt und auf den er immer wieder
zurückkommt.

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92, 7 Unsere Werthschätzungen.] Im ersten Satz, der alles Folgende prä-
judiziert, unterscheidet N. zwischen „eigenen" und „angenommenen" Wert-
schätzungen. Doch laufen die wesentlichen moralkritischen Erörterungen der
Morgenröthe auf die These hinaus, alle moralischen Vorstellungen und Urteile
seien angenommene, weil sie durch Gewohnheit und „Herkommen" zustande-
gekommen sind. Zwar setzt N. diesen angenommenen Wertschätzungen, deren
Ausdruck die gesellschaftlich geltende ,Moral' ist, durchgehend das Postulat
„eigener" Wertschätzungen entgegen, aber worin diese bestehen und inwie-
fern sie über das rein Private hinaus möglich und relevant sein sollen, bleibt
ungesagt. Zur genaueren Analyse der Widersprüchlichkeit NK Μ 102. Vgl. auch
Μ 148. Pointiert stellt N. im Zarathustra die eigene, individuelle und daher
auch subjektive Wertschätzung und Wertung der allgemeinen, für „Alle" ver-
bindlichen Moral entgegen: „Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht:
Das ist mein Gutes und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm
gemacht, welcher spricht ,Allen gut, Allen bös'" (KSA 4, 243, 25-27). Vgl. auch
Μ 484.

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92, 27 Der Schein-Egoismus.] Während La Rochefoucauld die Entlarvung
des Egoismus im nur scheinbar unegoistischen ,moralischen' Verhalten der
Menschen zu einem Angelpunkt seiner Moralkritik macht und während Pascal
das Ego mit seinem von N. wiederholt - so bereits in M 63 und 79 - aufgegriffe-
nen Ausspruch „Le moi est haissable" („das Ich ist hassenswert") sogar radikal
abwertet, geht N. auf Gegenkurs. Von seinem strikt individualistischen Stand-
punkt aus bringt er hier wie auch in anderen Texten den „Einzelnen" (93, 17)
in Stellung gegen die „Mehrzahl". Er kritisiert die „unpersönlichen, halbper-
sönlichen Meinungen" (93, 2 f.), welche die Menschen von sich selbst haben,
anstatt ihr „ego" zu kultivieren. Sie geben sich mit einem aus der Adaptation
dieser Meinungen erzeugten „Phantom von ego" (92, 30) zufrieden. Die am
 
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