200 Morgenröthe
nunmehr im Sinne des naturalistischen Determinismus dem fiktiven Ge-
sprächspartner zu erklären, dass er nicht aktives Subjekt, sondern passives
Objekt der „That" sei: „du wirst gethan!" (115, 5)
121
115, 9 „Ursache und Wirkung"!] N. schlägt ein Thema an, das er in seiner
späten Schrift Götzen-Dämmerung intensiv und ausführlich erörtern wird (GD
,Die vier grossen Irrthümer', KSA 6, 88-97). Schon längst hatte Spinoza das
einfache, teleologisch ausgerichtete ,Ursache-Wirkung'-Schema verabschiedet,
indem er die Vorstellung von einer Zweckursache, einer „causa finalis", als
falsche Übertragung menschlichen Zweckhandelns auf die Natur verstand. In
der Götzen-Dämmerung beruft sich N. auch tatsächlich auf Spinoza, den er al-
lerdings nur aus der Lektüre von Kuno Fischers Spinoza-Buch kannte. Im fol-
genden Text (M 122) und in M 130 nimmt er diese von Spinoza her bekannte
Problematisierung des „Zweck"-Denkens auf. Die große, im Zeichen des Pan-
theismus stehende Spinoza-Rezeption, die in den letzten Jahrzehnten des
18. Jahrhunderts begann und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fortdauerte,
verstärkte ein durch Aufklärung und moderne Naturwissenschaft vordringen-
des immanentes Weltverständnis. Eine durchschlagende zeitgenössische Aktu-
alisierung erfuhr die Suspendierung der teleologischen ,Ursache-Wirkung'-
Vorstellung und mit ihr die Vorstellung von vermeintlichen „Zwecken" in der
Natur durch Darwins Evolutionslehre, die N. intensiv rezipierte. Vgl. das Zitat
S. 115, 20.
Fragwürdig allerdings ist die Darstellung des Problems in M 121. Einerseits
fällt N. in die alte, aber zum damals aktuellen ,Realismus' gehörende Wider-
spiegelungs-Theorie zurück, indem er ohne Bezug von „diesem Spiegel"
spricht (115, 9), in Parenthese hinzufügt „und unser Intellect ist ein Spiegel"
(115, 10) und von „Bildern" und „Bildlichkeit" spricht (115, 16 f.); ande-
rerseits aber handelt er ohne nähere Erläuterung von der „Einsicht in eine we-
sentlichere Verbindung" (115, 17 f.).
122
115, 20 Die Zwecke in der Natur.] Hier wird die im vorhergehenden Text
(Μ 121) entfaltete Problematik weiterreflektiert, nun aber mit einem deutlichen
Bezug zu Darwins Evolutionslehre, der zufolge die Natur keine „Zwecke" und
keine „Absicht" kennt. Im Anschluss an ein in der zeitgenössischen Debatte
oft aufgegriffenes Beispiel demonstriert N. dies an der Entwicklung eines ein-
zelnen Organs, des Auges, („dass das Sehen nicht die Absicht bei der Entste-
nunmehr im Sinne des naturalistischen Determinismus dem fiktiven Ge-
sprächspartner zu erklären, dass er nicht aktives Subjekt, sondern passives
Objekt der „That" sei: „du wirst gethan!" (115, 5)
121
115, 9 „Ursache und Wirkung"!] N. schlägt ein Thema an, das er in seiner
späten Schrift Götzen-Dämmerung intensiv und ausführlich erörtern wird (GD
,Die vier grossen Irrthümer', KSA 6, 88-97). Schon längst hatte Spinoza das
einfache, teleologisch ausgerichtete ,Ursache-Wirkung'-Schema verabschiedet,
indem er die Vorstellung von einer Zweckursache, einer „causa finalis", als
falsche Übertragung menschlichen Zweckhandelns auf die Natur verstand. In
der Götzen-Dämmerung beruft sich N. auch tatsächlich auf Spinoza, den er al-
lerdings nur aus der Lektüre von Kuno Fischers Spinoza-Buch kannte. Im fol-
genden Text (M 122) und in M 130 nimmt er diese von Spinoza her bekannte
Problematisierung des „Zweck"-Denkens auf. Die große, im Zeichen des Pan-
theismus stehende Spinoza-Rezeption, die in den letzten Jahrzehnten des
18. Jahrhunderts begann und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fortdauerte,
verstärkte ein durch Aufklärung und moderne Naturwissenschaft vordringen-
des immanentes Weltverständnis. Eine durchschlagende zeitgenössische Aktu-
alisierung erfuhr die Suspendierung der teleologischen ,Ursache-Wirkung'-
Vorstellung und mit ihr die Vorstellung von vermeintlichen „Zwecken" in der
Natur durch Darwins Evolutionslehre, die N. intensiv rezipierte. Vgl. das Zitat
S. 115, 20.
Fragwürdig allerdings ist die Darstellung des Problems in M 121. Einerseits
fällt N. in die alte, aber zum damals aktuellen ,Realismus' gehörende Wider-
spiegelungs-Theorie zurück, indem er ohne Bezug von „diesem Spiegel"
spricht (115, 9), in Parenthese hinzufügt „und unser Intellect ist ein Spiegel"
(115, 10) und von „Bildern" und „Bildlichkeit" spricht (115, 16 f.); ande-
rerseits aber handelt er ohne nähere Erläuterung von der „Einsicht in eine we-
sentlichere Verbindung" (115, 17 f.).
122
115, 20 Die Zwecke in der Natur.] Hier wird die im vorhergehenden Text
(Μ 121) entfaltete Problematik weiterreflektiert, nun aber mit einem deutlichen
Bezug zu Darwins Evolutionslehre, der zufolge die Natur keine „Zwecke" und
keine „Absicht" kennt. Im Anschluss an ein in der zeitgenössischen Debatte
oft aufgegriffenes Beispiel demonstriert N. dies an der Entwicklung eines ein-
zelnen Organs, des Auges, („dass das Sehen nicht die Absicht bei der Entste-