254 Morgenröthe
Im konservativen Lager schwärmte Treitschke von der „wunderbaren Gemein-
schaft der Arbeit" (Treitschke 1879c, 485), er nannte, übereinstimmend mit N.,
die „Einführung der Sklaverei" eine „rettende That der Cultur" (Treitschke
1879c, 467), um auszurufen: „Keine Cultur ohne Dienstboten!" (Treitschke
1879c, 474) Ein ,Exot', dem N. gar nicht so fern steht, ist Paul Lafargue mit
seiner provozierenden Broschüre Das Recht auf Faulheit (1883, deutsch 1887),
das mit dem Lob der „Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden"
schloss.
Indem N. die absorbierende und schwächende Beanspruchung durch Ar-
beit hervorhebt, zielt er wie in einer ganzen Reihe von Texten der Morgenröthe
auf die Gefährdung des Individuellen. Das „Individuum" und die Persönlich-
keit gelten ihm als das eigentlich Erstrebenswerte. Deshalb erteilt er nicht nur
den modernen Arbeitsbedingungen, sondern auch „dem Lobe der gemeinnüt-
zigen unpersönlichen Handlungen" (154, 4 f.) eine Absage. Aberrant ist die Vor-
stellung, die „Furcht vor allem Individuellen" (154, 6) sei der „Hintergedanke"
bei der hohen Wertung der Arbeit. N. nimmt gerne „Hintergedanken" an, vgl.
z. B. Μ 74.
174
154, 22 f. Moralische Mode einer handeltreibenden Gesell-
schaft.] Schon in vorangehenden Texten der Morgenröthe spricht N. von „mo-
ralischen Moden" (in M 131; M 133, dort 127, 26 f.); auch das Gefühl der „Furcht-
samkeit" (154, 25 f.); 155, 2) als Motiv einer sozialen ,Moral' erörtert er intensiv
schon in M 142 (134, 15 f.; 134, 29; 135, 1; 135, 5), um das Mitleid als Grundlage
einer sozial und gefühlshaft verankerten Moral zu diskreditieren. Dieses Mit-
leid erscheint hier im Gewände der „Sympathie für Andere" (154, 25) und „der
sympathischen Affectionen" (155, 10) wie schon in M 172 (153, 15). Ohne John
Stuart Mill explizit zu nennen, der in seinem von N. in der deutschen Überset-
zung studierten Werk Utilitarianism eine Ethik auf der Grundlage des Nützlich-
keitsprinzips entwickelt, attackiert er ihn hier mit deutlicher Anspielung auf
die „handeltreibende Gesellschaft" (154, 22 f.), als welche vor allem
die englische Gesellschaft galt. Abschließend zieht er direkt die auf den Nutzen
ausgehende Moral in Zweifel: „Inzwischen bleibt selbst die Frage unbeantwor-
tet, ob man dem Anderen mehr nützt, indem man ihm unmittelbar fortwäh-
rend beispringt und hilft" (155, 10-13). In der folgenden M 175 analysiert er
generell die „Cultur der Handeltreibenden" (155, 21 f.) und die Auswir-
kungen auf die moderne „Seele".
Im konservativen Lager schwärmte Treitschke von der „wunderbaren Gemein-
schaft der Arbeit" (Treitschke 1879c, 485), er nannte, übereinstimmend mit N.,
die „Einführung der Sklaverei" eine „rettende That der Cultur" (Treitschke
1879c, 467), um auszurufen: „Keine Cultur ohne Dienstboten!" (Treitschke
1879c, 474) Ein ,Exot', dem N. gar nicht so fern steht, ist Paul Lafargue mit
seiner provozierenden Broschüre Das Recht auf Faulheit (1883, deutsch 1887),
das mit dem Lob der „Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden"
schloss.
Indem N. die absorbierende und schwächende Beanspruchung durch Ar-
beit hervorhebt, zielt er wie in einer ganzen Reihe von Texten der Morgenröthe
auf die Gefährdung des Individuellen. Das „Individuum" und die Persönlich-
keit gelten ihm als das eigentlich Erstrebenswerte. Deshalb erteilt er nicht nur
den modernen Arbeitsbedingungen, sondern auch „dem Lobe der gemeinnüt-
zigen unpersönlichen Handlungen" (154, 4 f.) eine Absage. Aberrant ist die Vor-
stellung, die „Furcht vor allem Individuellen" (154, 6) sei der „Hintergedanke"
bei der hohen Wertung der Arbeit. N. nimmt gerne „Hintergedanken" an, vgl.
z. B. Μ 74.
174
154, 22 f. Moralische Mode einer handeltreibenden Gesell-
schaft.] Schon in vorangehenden Texten der Morgenröthe spricht N. von „mo-
ralischen Moden" (in M 131; M 133, dort 127, 26 f.); auch das Gefühl der „Furcht-
samkeit" (154, 25 f.); 155, 2) als Motiv einer sozialen ,Moral' erörtert er intensiv
schon in M 142 (134, 15 f.; 134, 29; 135, 1; 135, 5), um das Mitleid als Grundlage
einer sozial und gefühlshaft verankerten Moral zu diskreditieren. Dieses Mit-
leid erscheint hier im Gewände der „Sympathie für Andere" (154, 25) und „der
sympathischen Affectionen" (155, 10) wie schon in M 172 (153, 15). Ohne John
Stuart Mill explizit zu nennen, der in seinem von N. in der deutschen Überset-
zung studierten Werk Utilitarianism eine Ethik auf der Grundlage des Nützlich-
keitsprinzips entwickelt, attackiert er ihn hier mit deutlicher Anspielung auf
die „handeltreibende Gesellschaft" (154, 22 f.), als welche vor allem
die englische Gesellschaft galt. Abschließend zieht er direkt die auf den Nutzen
ausgehende Moral in Zweifel: „Inzwischen bleibt selbst die Frage unbeantwor-
tet, ob man dem Anderen mehr nützt, indem man ihm unmittelbar fortwäh-
rend beispringt und hilft" (155, 10-13). In der folgenden M 175 analysiert er
generell die „Cultur der Handeltreibenden" (155, 21 f.) und die Auswir-
kungen auf die moderne „Seele".