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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0295
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280 Morgenröthe

ohne daran zu zerbrechen - programmatisch ist vom „Dulder" Odysseus die
Rede -, die geistigen und charakterlichen Qualitäten, die zum Erreichen des
Zieles notwendig sind.
N. setzt sich nicht nur über den Charakter des homerischen Epos und sei-
nes Protagonisten hinweg. In der für ihn typischen Art des Zitierens - nicht
umsonst hatte Wilamowitz in seiner vernichtenden Rezension von GT von „ge-
flissentlichen Entstellungen" gesprochen - versucht er darüber hinaus, bei
Odysseus eine doch nicht „vornehme" Art festzustellen. Er zitiert aus dem 20.
Gesang der Odyssee die Worte, die Odysseus nach seiner Rückkehr, noch als
unerkannter Fremdling auftretend, in seinem Herrschaftssitz spricht. Odysseus
beobachtet, wie die in seinem Palast schmarotzenden Freier seine Gemahlin
Penelope bedrängen, und besonders empört ihn, dass die Dienerinnen der Pe-
nelope es mit den Freiern halten, anstatt die Treue zu ihrer Herrin zu bewah-
ren. „Durch die schändlichen Greuel erbittert", heißt es in der Übersetzung von
Johann Heinrich Voß, sprach Odysseus, der sich noch zurückhalten muss, um
nicht vorzeitig erkannt zu werden, „die zürnenden Worte" - und nun folgen
die Verse, von denen N. nur den ersten zitiert. In Voßens Übersetzung lauten
sie:
„Dulde, mein Herz! Du hast noch härtere Kränkung erduldet,
Damals, als der Kyklop, das Ungeheuer, die lieben,
Tapfern Freunde dir fraß. Du duldetest, bis dich ein Anschlag
Aus der Höhle befreite, wo dir dein Tod schon bestimmt war."
(Odyssee XX, 18-21)
Voß übersetzt das griechische Adjektiv κύντερος im ersten der hier zitierten
Verse (τέτλαθι δή, κραδίη · καί κύντερον άλλο ποτ' έτλης) in einer auch sonst
belegten metaphorischen Bedeutung. Die Lexika verzeichnen zwei ganz ver-
schiedene metaphorische Bedeutungen: „schamlos" und „schrecklich". Da im
Kontext der zitierten Verse (18-21) nur die zweite Bedeutung in Frage kommt,
also „schrecklich", trifft die (aus metrischen Gründen dehnende) Version von
Voß („härtere Kränkung") im Wesentlichen zu, denn was Odysseus in der Höh-
le des menschenfressenden Kyklopen Polyphem erleiden musste, war in der
Tat „schrecklich" und ,hart'. Die andere metaphorische Bedeutung „scham-
los", obwohl sie dem eigentlichen, unmetaphorischen Sinn von κύντερος nä-
her ist, („hundemäßig", „hündisch") scheidet hier ebenso aus wie die etymolo-
gisch ,eigentliche' Version, des von κύων, „Hund" abgeleiteten Komparativs
κύντερος.
N. manipuliert Homers Worte auf zweifache Weise, um die im Vergleich
mit „uns" nicht „vornehme" Art der Griechen am Beispiel des Odysseus zu de-
 
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