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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0299
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284 Morgenröthe

nis, die er zu den entarteten Verfassungsformen zählte, als „Alleinherrschaft,
die ohne Rechenschaftspflicht über alle Gleichen und Bessern herrscht mit
dem Ziel ihres eigenen Vorteils, nicht des Nutzens der Untertanen. Daher ge-
horcht niemand ihr freiwillig, denn kein freier Mann erträgt gerne diese Art
von Herrschaft" (Politik, 4. Buch, 10. Kapitel, 1295 a 19-24). Im 5. Buch seiner
Politile charakterisiert Aristoteles die verwerflichen Herrschaftsmethoden der
Tyrannis. Seither versteht man unter einem „Tyrannen" einen ungerechten und
grausamen Herrscher.

200
174, 29 Armuth ertragen.] Dass N. es als den „grossen Vorzug adeliger
Abkunft" bezeichnet, „dass sie die Armuth besser ertragen lässt", könnte als
Reflex der Verarmung mancher Adliger verstanden werden und als Ausdruck
der Überzeugung, dass das Bewusstsein, adlig zu sein, der materiellen Not bes-
ser standzuhalten hilft. In dieser Allgemeinheit aber ist die Aussage verfehlt,
und zwar angesichts der historischen Tatsache, dass mit der adligen Herkunft
meistens auch große materielle Vorteile und Privilegien anderer Art verbunden
waren. Vgl. NK Μ 198. Der folgende Text Μ 201 („Zukunft des Adels")
verrät in der Schlusspartie, dass N. selbst sich zum ,Adel der Zukunft' zählt
(vgl. den Kommentar hierzu). Hier in M 200 reflektiert er dies schon im Hin-
blick auf seine bescheidene materielle Situation.

201
175, 2 Zukunft des Adels.] Hier führt N. seine in den vorhergehenden Tex-
ten begonnene Erörterung der ,Vornehmheit' fort. Die „vornehme Welt" (175,
2 f.) und die mehrmals hervorgehobene „vornehme Cultur" (175, 19; 175, 32 f.)
verbindet er nun mit der schon in früheren Texten der Morgenröthe exponier-
ten Vorstellung der „Macht" und des „Machtgefühls" (175, 28-30). Dieses
Machtgefühl beobachtet N. zuerst in den Manifestationen vornehm-adliger
„Haltung" (175, 4-32), um es dann mit einem „Gefühl der Überlegenheit" (175,
31 f.; 175, 33) gleichzusetzen, das schließlich in dasjenige der „freien Geister"
(176, 1) übergeht. So soll der in der modernen Welt weitgehend funktionslos
gewordene Adel den „höheren Ritterdienst" im „Orden der Erkenntniss" (176,
3 f.) erlernen, womit zugleich der Habitus des „freien Geistes" (lies: N.s) seine
Nobilitierung erfährt.
Im Zarathustra fordert N. einen „neuen Adel" (KSA 4, 254, 17), der sich
dadurch erweisen soll, dass er „edel" ist - eine tautologische Worthülse. Eben-
 
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