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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0317
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302 Morgenröthe

scheinbar ,moralischen' Habitus auf gerade nicht moralische Ursachen, ent-
spricht der auch sonst in der Morgenröthe immer wieder verfolgten Methode,
einen schämenswerten Ursprung, eine „pudenda origo" der vermeintlichen
Moral aufzudecken und sie damit aus den Angeln zu heben. Allgemeiner: N.
wendet so die in der Moralistik, besonders bei La Rochefoucauld, beliebte Un-
terscheidung von Sein und Schein an. Doch geht er in der psychologischen
Analyse noch weiter, indem er nicht nur die gesellschaftliche Wirkung des ,mo-
ralischen' Verhaltens im Sinn hat, sondern auch die Rückwirkung auf das Ego.
Das Ich heuchelt nicht etwa in bewusster Verstellung, vielmehr folgt es einer
autoreferentiellen Psychodynamik: Es versucht „sich selber zu imponi-
ren" (198, 21 f.). Unter ganz anderen Voraussetzungen spricht in M 14 das ge-
fährdete Ich den Wunsch aus: „dass ich bei mir selber Glauben finde" (28, 17).
234
198, 27 Scheu vor dem Ruhme.] Als „Junker Hochmuth" (199, 4) bezeich-
net Hans Sachs in Richard Wagners Musikdrama Die Meistersinger von Nürn-
berg Walter von Stolzing (vierte Szene des zweiten Aufzugs).
235
199, 6 Dank abweisen.] N. beschließt den vorangehenden Text M 234 mit
dem Wort „Hochmuth". Die Frage, „warum" die Abweisung von Dank belei-
digt, fordert eine analoge Antwort: in solcher Abweisung liegt ,moralischer'
Hochmut.
236
199, 11 Strafe.] Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Verbrechers
und insbesondere mit der Problematik der „Strafe", mit der sich auch N.s
Freund Paul Ree intensiv beschäftigte, betrifft das übergeordnete Thema der
Moralkritik, insofern Strafe die gesellschaftliche Sanktionierung der geltenden
Moral ist. Deshalb lehnt N. die Strafe ab, der er hier ihre ,reinigende' Wirkung
abspricht. Zur zeitgenössischen Problemdebatte vgl. Μ 202 und ΝΚ hierzu. Eine
Variation des in M 236 thematisierten Aspekts der Strafe bietet M 252.

237
199, 15 Eine Parteinoth.] Politische Parteien waren eine neue Erscheinung
im 19. Jahrhundert. Aufgrund seines ,Aristokratismus' lehnte N. die politischen
 
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