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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0340
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Stellenkommentar Viertes Buch, KSA 3, S. 217-220 325

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218, 26 Eine Vergeudung.] N. geht in diesem Text noch von einem „eigent-
lichen Charakter" (219, 1) und von „eigentlichen Charakterworte[n] und Cha-
rakterhandlungen" (219, 5 f.) aus. Er entspricht damit Schopenhauers Anschau-
ung von der Eigentlichkeit und Unveränderlichkeit des Charakters als einer
angeborenen Wesensart. Vgl. den ausführlichen Kommentar zu Μ 560, wo N.
wie auch in anderen Texten eine andere Position vertritt. Das von ihm häufig
adaptierte Schema psychologischer Kompensation, das auch den vorhergehen-
den Text Μ 289 bestimmt, tritt hier markant in der Vorstellung des „Ausglei-
chen[s]" hervor (219, 6).
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219, 9 Anmaassung.] „Verstellung", „Heuchelei" und „Stolz" sind, ebenso
wie die von N. in anderen Texten der Morgenröthe behandelte „Eitelkeit", The-
men der traditionellen Moralistik, besonders bei La Rochefoucauld.
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219, 21 Eine Art Verkennung.] Immer wieder beschäftigte sich N. mit dem
Problem der Authentizität, das der moralistischen Unterscheidung von Sein
und Schein zugrundeliegt und für ihn ein Problem der eigenen Schriftstellerei
war. Durch die Erfahrungen mit Wagners Schauspielertum, das er am schärfs-
ten in der Schrift Der Fall Wagner aufs Korn nimmt, aber auch aufgrund der
Selbstdiagnose, dass er durch „Masken" spreche, irritierte ihn die Gefahr der
Täuschung in der Wahrnehmung von „,Natürlichkeit'" (219, 29). „Verkennung"
ist auch das Thema in M 368.
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220, 5 Dankbar.] Die psychologische Beobachtung, dass ein Zuviel an Dank-
barkeit die „Selbständigkeit" gefährde, entspricht N.s oft artikuliertem Streben
nach „Unabhängigkeit" und Selbstbewahrung, das auch sein besonders in der
Morgenröthe und im Zarathustra zum Ausdruck kommendes Bedürfnis nach
„Einsamkeit" mitbestimmt.
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220, 10 Heilige.] Ein besonders deutliches Beispiel für die von N. oft vorge-
führten Kompensationsmechanismen. Hier geht diese Form psychischer Reak-
tionsbildung bis zum Extrem der Polarisation und der Hyperkompensation.
 
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