Stellenkommentar Fünftes Buch, KSA 3, S. 267 373
der Naturwissenschaft tretenden Literatur zu pointieren. Der Begriff des Experi-
mentellen hat hier nicht den Sinn von spekulativer Offenheit, sondern von me-
thodisch erzielter Erfahrung. Zola betont sogar, meistens würde es für seine
Zwecke eigentlich reichen, in Bernards Abhandlung das Wort „Mediziner"
durch das Wort „Romancier" zu ersetzen. An die Stelle von Phantasie-Ausge-
burten („romans de pur imagination") soll nun eine „durch die Wissenschaft
bestimmte Literatur", eine „litterature determinee par la science" treten (Zola
1906, 111); dementsprechend sollen die künftigen Romane „romans d'observa-
tion et d'experimentation" sein. Die zentrale Definition des Experimentellen
im Hinblick auf den „roman experimental" lautet: „L'experience n'est au fond
qu'une observation provoquee" (Zola 1906, 111; „im Grunde ist die experimen-
telle Verfahrensweise nichts anderes als das [methodische] Hervorrufen einer
Beobachtung"). N. selbst steht in einem Spannungsverhältnis zwischen dem
von ihm aus kritischer Distanz betrachteten „Realismus" im Künstlerischen
und Philosophischen einerseits und der in der Morgenröthe und schon in
Menschliches, Allzumenschliches immer wieder geforderten Hinwendung zur
„Wirklichkeit" andererseits. In einem nachgelassenen Notat von Ende 1880
heißt es: „Der Realism in der Kunst eine Täuschung. Ihr gebt wieder, was euch
am Dinge entzückt, anzieht - diese Empfindungen aber werden ganz gewiß
nicht durch die realia geweckt! Ihr wißt es nur nicht, was die Ursache der
Empf<indungen> ist! Jede gute Kunst hat gewähnt, realistisch zu sein!" (7[46],
KSA 9, 326)
434
267, 2 Fürsprache einlegen.] Dieser Text und der folgende relativieren
sich gegenseitig, indem sie beide gegensätzliche Möglichkeiten von „Grösse"
erörtern: die Größe des „Schlichten" und des „Erhabenen".
435
267, 10 Nicht unvermerkt zu Grunde gehen.] Vgl. NK M 434 sowie ins-
besondere den Text M 429, wo sich das Plädoyer für die Leidenschaft und spe-
ziell die „neue Leidenschaft" der „Erkenntniss" am Wunschbild von tragi-
scher' „Grösse" orientiert. Dafür wird schon dort der „Untergang", ja sogar der
„Untergang der Menschheit" (265, 6) beschworen, wenn dieser nur ein ,großer'
ist, der - wie es dann in M 435 heißt - zum Anblick „erhabener Trüm-
mer" führt (267, 22). Beide Texte sind in hohem Maße autoreferentiell, denn
N. meint mit dem „Untergang" auch das Scheitern der von ihm selbst propa-
der Naturwissenschaft tretenden Literatur zu pointieren. Der Begriff des Experi-
mentellen hat hier nicht den Sinn von spekulativer Offenheit, sondern von me-
thodisch erzielter Erfahrung. Zola betont sogar, meistens würde es für seine
Zwecke eigentlich reichen, in Bernards Abhandlung das Wort „Mediziner"
durch das Wort „Romancier" zu ersetzen. An die Stelle von Phantasie-Ausge-
burten („romans de pur imagination") soll nun eine „durch die Wissenschaft
bestimmte Literatur", eine „litterature determinee par la science" treten (Zola
1906, 111); dementsprechend sollen die künftigen Romane „romans d'observa-
tion et d'experimentation" sein. Die zentrale Definition des Experimentellen
im Hinblick auf den „roman experimental" lautet: „L'experience n'est au fond
qu'une observation provoquee" (Zola 1906, 111; „im Grunde ist die experimen-
telle Verfahrensweise nichts anderes als das [methodische] Hervorrufen einer
Beobachtung"). N. selbst steht in einem Spannungsverhältnis zwischen dem
von ihm aus kritischer Distanz betrachteten „Realismus" im Künstlerischen
und Philosophischen einerseits und der in der Morgenröthe und schon in
Menschliches, Allzumenschliches immer wieder geforderten Hinwendung zur
„Wirklichkeit" andererseits. In einem nachgelassenen Notat von Ende 1880
heißt es: „Der Realism in der Kunst eine Täuschung. Ihr gebt wieder, was euch
am Dinge entzückt, anzieht - diese Empfindungen aber werden ganz gewiß
nicht durch die realia geweckt! Ihr wißt es nur nicht, was die Ursache der
Empf<indungen> ist! Jede gute Kunst hat gewähnt, realistisch zu sein!" (7[46],
KSA 9, 326)
434
267, 2 Fürsprache einlegen.] Dieser Text und der folgende relativieren
sich gegenseitig, indem sie beide gegensätzliche Möglichkeiten von „Grösse"
erörtern: die Größe des „Schlichten" und des „Erhabenen".
435
267, 10 Nicht unvermerkt zu Grunde gehen.] Vgl. NK M 434 sowie ins-
besondere den Text M 429, wo sich das Plädoyer für die Leidenschaft und spe-
ziell die „neue Leidenschaft" der „Erkenntniss" am Wunschbild von tragi-
scher' „Grösse" orientiert. Dafür wird schon dort der „Untergang", ja sogar der
„Untergang der Menschheit" (265, 6) beschworen, wenn dieser nur ein ,großer'
ist, der - wie es dann in M 435 heißt - zum Anblick „erhabener Trüm-
mer" führt (267, 22). Beide Texte sind in hohem Maße autoreferentiell, denn
N. meint mit dem „Untergang" auch das Scheitern der von ihm selbst propa-