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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0399
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384 Morgenröthe

zur Erkenntniss. Du hast es in der Hand zu erreichen, dass all dein Erlebtes:
die Versuche, Irrwege, Fehler, Täuschungen, Leidenschaften, deine Liebe und
deine Hoffnung, in deinem Ziele ohne Rest aufgehn" (KSA 2, 236, 22-28). Auch
in der Fröhlichen Wissenschaft sieht N., wie gesagt, den Menschen als ein Expe-
rimentierfeld an. In FW 319 formuliert er: „wir, wir Anderen, Vernunft-Dursti-
gen, wollen unseren Erlebnissen so streng in's Auge sehen, wie einem wissen-
schaftlichen Versuche, Stunde für Stunde, Tag um Tag! Wir selber wollen unse-
re Experimente und Versuchs-Thiere sein" (KSA 3, 551, 11-15). In FW 324 spricht
er von dem Tage, „wo der grosse Befreier über mich kam, jener Gedanke, dass
das Leben ein Experiment des Erkennenden sein dürfe" (KSA 3, 552, 25-27).
Musil entwirft, anschließend an N., im Mann ohne Eigenschaften eine „Utopie
der induktiven Gesinnung".
Zu N.s Konzept des Experiments und der Experimentalphilosophie: Kaul-
bach 1980 (hierzu die kritische Rezension von Reinhart Maurer 1983, 497-506);
Maurer 1984, 7-28; Gerhardt 1986, 45-61.

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274, 26 Zwischenrede.] Die Platzierung dieses Kurztextes gerade hier er-
gibt sich assoziativ aus dem vorausgehenden, der einem anderen „Zwischen"
gilt: dem „moralischen Interregnum". Zum „Spazierengehen", das Muße vo-
raussetzt (274, 28), vgl. auch FW 329, KSA 3, 557, 13-23.

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275, 2 Die erste Natur.] N. gab der auf sein Leben und Werk zurückbli-
ckenden Schrift Ecce homo den Untertitel „Wie man wird, was man ist". Er
greift damit eine vielzitierte Wendung aus Pindars zweiter Pythischer Ode auf
(V. 72) Γένοι' οίος έσσ'ι μαθών: „werde der du bist - nachdem du gelernt hast".
Vgl. NK 6/2, 255, 2. In FW 270 fragt N.: „Was sagt dein Gewissen", und
er antwortet: „Du sollst der werden, der du bist". Die Vorstellung des Sich-
Häutens, durch das unter der zweiten Natur als einer in der Welt angenomme-
nen zweiten „Haut" die erste „Haut": die „erste Natur" wieder zum Vorschein
kommt, entspricht dieser Devise. Die Schlange, die sterben muss, wenn sie sich
nicht häuten kann, fungiert als Metapher der eigenen geistigen Notwendigkeit
in M 573. Das „Werde, der du bist" hat auch einen biographischen Hintergrund:
N. deutet rückblickend seine frühere Schopenhauer- und Wagner-Verehrung
als Verfehlen des Eigenen; er musste sich erst von ihnen lösen, um zu seinem,
wie er meinte, ,wahren' Wesen zu gelangen.
 
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