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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0552
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Stellenkommentar Vogel Albatross, KSA 3, S. 341-342 537

der folglich zuvor gekämpft worden sein muss. (Zur Kampfansage an den
„Geist der Schwere" aus der Vogel-Perspektive vgl. auch Zarathustra III, KSA
4, 241, 18-20: „Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist
Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog
sich nicht schon meine Feindschaft!") Das Vergessen von „Sieg" und „Siegen-
dem" zielt auf die neu gewonnene Leichtigkeit und Freiheit, die sich geradezu
durch ,Selbstvergessenheit' auszeichnet: durch den reinen Genuss des freien
Schwebens in höchster Höhe. - Anstelle der gesamten Passage 341, 24-27, lau-
tet der Text in einer Vorstufe noch folgendermaßen:
„Der ohne Flügelschlag
Fliegt hoch ob allen Fliegenden
0 Räthsel Trost und Bild!
0 Trost und Glück!! Hier liegt der Siegende
Das Kleinod aller Siegenden" (KSA 14, 230)
342, If. Gleich Stern und Ewigkeit / Lebt er in Höhn jetzt, die das Leben flieht]
Statt „Gleich Stern und Ewigkeit / Lebt er in Höhn jetzt" heißt es noch in der
Reinschrift: „Glück tiefster Einsamkeit! / In Höhen lebend" (KSA 14, 230).
Durch den stattdessen in der Druckfassung gezogenen Vergleich mit „Stern
und Ewigkeit" wird der Albatros schier aus dem Bereich des organischen, end-
lichen „Lebens" hinausgehoben. Er scheint jetzt sogar die Erdatmosphäre zu
verlassen und in das Weltall zu entschweben. Das „Leben flieht" diese über-
irdischen Höhen, weil es darin nicht zu existieren vermag; es handelt sich um
lebensfeindliche Höhen. Im „Vorwort" zur autobiographischen Spätschrift Ecce
homo bedient sich N. einer ganz ähnlichen Höhen-Metaphorik, um die Exklusi-
vität seiner eigenen Schriften zu charakterisieren: „Wer die Luft meiner Schrif-
ten zu athmen weiss, weiss dass es eine Luft der Höhe ist, eine starke Luft.
Man muss für sie geschaffen sein, sonst ist die Gefahr keine kleine, sich in ihr
zu erkälten. Das Eis ist nahe, die Einsamkeit ist ungeheuer" (EH Vorwort 3,
KSA 6, 258, 22-25). Und insbesondere über seinen Zarathustra schreibt N., der
gerne in „Jahrtausenden" denkt: „Dies Buch, mit einer Stimme über Jahrtau-
sende hinweg, ist nicht nur das höchste Buch, das es giebt, das eigentliche
Höhenluft-Buch - die ganze Thatsache Mensch liegt in ungeheurer Ferne un-
ter ihm" (EH Vorwort 3, 259, 17-21).
„Stern und Ewigkeit", die diese Höhe repräsentieren, sind Lieblingsmeta-
phern N.s, die entsprechend häufig bei ihm vorkommen. „Stern" verwendet er
gerne als Sinnbild für ,hohe‘ Freundschaft, so etwa in einem Dreizeiler aus
Scherz, List und Rache, dem „Vorspiel in deutschen Reimen" zur Fröhlichen
Wissenschaft: „Nah hab den Nächsten ich nicht gerne: / Fort mit ihm in die
 
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