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Stellenkommentar GM 1 8, KSA 5, S. 268-269 143

268, 12 f. des tiefsten und sublimsten, nämlich Ideale schaffenden, Werthe um-
schaffenden Hasses] Wallace 2006 fragt kritisch, weshalb diejenigen, die keine
Macht hatten, hoffen sollten, die Erschaffung neuer Werte werde die Machtsi-
tuation umkehren (dazu auch Pfeuffer 2008b, 394).
268, 27-269, 1 Dieser Jesus von Nazareth, als das leibhafte Evangelium der
Liebe, dieser den Armen, den Kranken, den Sündern die Seligkeit und den Sieg
bringende „Erlöser" — war er nicht gerade die Verführung in ihrer unheimlichsten
und unwiderstehlichsten Form, die Verführung und der Umweg zu eben jenen
jüdischen Werthen und Neuerungen des Ideals?] Vgl. NK KSA 5, 225, 1-16.
Dass Jesu Wesen und Wirken von Liebe bestimmt gewesen sei, ist nicht nur
christliche Lehrmeinung, sondern auch die Auffassung von kirchenkritischen
Religionswissenschaftlern wie Ernest Renan, der Jesu geradezu Liebestrunken-
heit zuschreibt (Renan 1867, 257). Guyau 1887, 101 f. beschreibt in einer von N.
in AC 23 benutzten Passage (vgl. den ausführlichen Quellenauszug in NK
KSA 6, 190, 28-34), welches Verführungspotential das Bild vom liebevollen
und liebreizenden Jesus entwickelt hat, während er einige Seiten vorher zu
bedenken gibt, dass sogar Jesu Religion der Liebe mit ihren Vorstellungen von
Gericht und Vergeltung die „Erbschaft des Hasses" als „Atavismus" in sich tra-
ge („Une sorte d'atavisme attache, ä la religion meme de l'amour ce perpetuel
heritage de haine, ces moeurs d'une societe sauvage monstrueusement erigees
en institution eternelle et divine." Guyau 1887, 89. Von N. mit Randstrich und
Ausrufezeichen markiert. „Ein gewisser Atavismus verbindet mit der Religion
der Liebe dieses ewige Erbe des Hasses, diese Sitten einer grausamen Gesell-
schaft, die monströs als ewige und göttliche Institution errichtet wurden."). In
GM I 8 gilt der Hass und die Gott vorbehaltene Rache (vgl. Guyau 1887, 88)
nicht länger bloß als atavistische Schlacke in Jesu Liebesevangelium, sondern
als dessen geheime Triebfeder: Diese Liebe ist nichts Ursprüngliches, sondern
etwas von negativen Affekten Bedingtes. Sie erscheint nicht als Selbstzweck
und höchste Stufe der Sittlichkeit, sondern als Mittel der sklavenmoralischen
Ermächtigung - als Mittel, die „jüdischen Werthe" universell zu verbreiten.
Und diese Werte sind die der bis dahin Unterlegenen, Schlechtweggekomme-
nen, Schlechten.
268, 26 f. Alles, was Tiefe hatte und böse war] Vgl. NK 266, 5-15.
269, 4 f. die geheime schwarze Kunst einer wahrhaft grossen Politik der Ra-
che] Als „schwarze Kunst" wurde - bevor die Schwarzkunst oder Buchdrucke-
rei das Begriffsfeld besetzte - die Zauberei oder Magie bezeichnet (vgl. z. B.
Meyer 1885-1892, 14, 694). Die Applikation des Schlagwortes von der „großen
Politik" auf das Vorgehen der lauthals verabscheuten Gegenseite belegt, dass
N. dieses Schlagwort - dessen sich etwa auch Bismarck bedient hatte (vgl. NK
 
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