Stellenkommentar GM II 19, KSA 5, S. 327 367
Schuld ihrer Ahnen gewähnt hätten. Erst mit der Ablösung eines ursprüngli-
chen Matriarchats sei der Gedanke des „Ahnherrn" (vgl. 328, 10 f.) in den Blick
gekommen: „Es entsteht eine Vaterschaft und damit die Möglichkeit einer Ver-
knüpfung der Verwandtschaft mit der Abstammung von einem gemeinsamen
Ahnherrn. Hierin wird die naturgemässe Ursache des allmählichen Untergangs
der Weiberverwandtschaft zu suchen sein." (Post 1880-1881, 1, 80) „Wie bei
der primitiven geschlechtsgenossenschaftlichen Organisation, so findet man
auch dort, wo sich Hausgemeinschaften oder engere von einem Hausvater be-
herrschte Familien entwickelt haben, so lange das Blutband noch eine eth-
nisch-morphologische Bedeutung behält, höhere auf der Abstammung von ei-
nem gemeinsamen Ahnherrn beruhende Verbände, welche bei den verschiede-
nen Völkerschaften der Erde verschiedene Namen führen und im Einzelnen
sehr verschiedenartig organisirt sind." (Post 1880-1881, 2, 32) Aber auch hier
fehlt jeder Hinweis auf einen irgendwie schuldbeladenen Ahnenkult, der als
ursprüngliches obligationenrechtliches Verhältnis angesehen werden könnte.
In Posts Grundlagen des Rechts akzentuiert sich freilich sein Interesse für die
gemeinschaftskonstituierende Rolle der Vorfahren: „Die vergleichende Ethno-
logie lässt darüber keinen Zweifel, dass sich die primitivste sociale Organisati-
on der Menschheit überall an die Fortpflanzung der Rasse anschliesst, mit an-
dern Worten, dass die ältesten socialen Verbände überall Vereinigungen bluts-
verwandter Personen sind, Verbände, deren Mitglieder durch die Abstammung
von einem gemeinsamen Ahnen zusammengehalten werden." (Post 1884, 54)
Und erstmals wird wenigstens an einer Stelle auch ausdrücklich über die
Pflichten der Lebenden gegenüber ihren Vorfahren gesprochen: „So lange eine
Geschlechterverfassung existirt, ist die Erhaltung des Geschlechts eine unab-
weisliche Pflicht jedes Mannes. Er verheirathet sich nicht aus irgend welcher
persönlichen Zuneigung zu einem Weibe, sondern um einen Sohn zu hinterlas-
sen, welcher geeignet ist, nach des Erzeugers Tode das Geschlecht zu vertreten.
Er genügt dadurch einer sittlichen Pflicht gegen seine Vorfahren." (Ebd., 381)
Das spiegelt eine in den 1880er Jahren rege geführte, ethnologisch-historische
Debatte über den Ahnenkult wider (im Gefolge von Herbert Spencer sowie von
Numa Denis Fustel de Coulanges' La Cite antique von 1864), die Orsucci 1996,
205-213 rekapituliert. An dieser Debatte hat Post in späteren Werken partizi-
piert, die N. nicht mehr lesen konnte. Vgl. NK 327, 25-32.
Religionswissenschaftlich unterfüttert haben dürfte N. den in GM II 19 ver-
tretenen Standpunkt hingegen durch die Lektüre von Julius Lipperts Christen-
thum, Volksglaube und Volksbrauch, das N. am 13. 04. 1885 erworben hatte
(NPB 361) und das er ein Jahr später, am 10. 04. 1886, Overbeck nahelegte:
„Gestatte mir ein Buch gerade Dir zu empfehlen, von dem man in Deutschland
nichts wissen will, aber das viel von meiner Art, über Religion zu denken,
Schuld ihrer Ahnen gewähnt hätten. Erst mit der Ablösung eines ursprüngli-
chen Matriarchats sei der Gedanke des „Ahnherrn" (vgl. 328, 10 f.) in den Blick
gekommen: „Es entsteht eine Vaterschaft und damit die Möglichkeit einer Ver-
knüpfung der Verwandtschaft mit der Abstammung von einem gemeinsamen
Ahnherrn. Hierin wird die naturgemässe Ursache des allmählichen Untergangs
der Weiberverwandtschaft zu suchen sein." (Post 1880-1881, 1, 80) „Wie bei
der primitiven geschlechtsgenossenschaftlichen Organisation, so findet man
auch dort, wo sich Hausgemeinschaften oder engere von einem Hausvater be-
herrschte Familien entwickelt haben, so lange das Blutband noch eine eth-
nisch-morphologische Bedeutung behält, höhere auf der Abstammung von ei-
nem gemeinsamen Ahnherrn beruhende Verbände, welche bei den verschiede-
nen Völkerschaften der Erde verschiedene Namen führen und im Einzelnen
sehr verschiedenartig organisirt sind." (Post 1880-1881, 2, 32) Aber auch hier
fehlt jeder Hinweis auf einen irgendwie schuldbeladenen Ahnenkult, der als
ursprüngliches obligationenrechtliches Verhältnis angesehen werden könnte.
In Posts Grundlagen des Rechts akzentuiert sich freilich sein Interesse für die
gemeinschaftskonstituierende Rolle der Vorfahren: „Die vergleichende Ethno-
logie lässt darüber keinen Zweifel, dass sich die primitivste sociale Organisati-
on der Menschheit überall an die Fortpflanzung der Rasse anschliesst, mit an-
dern Worten, dass die ältesten socialen Verbände überall Vereinigungen bluts-
verwandter Personen sind, Verbände, deren Mitglieder durch die Abstammung
von einem gemeinsamen Ahnen zusammengehalten werden." (Post 1884, 54)
Und erstmals wird wenigstens an einer Stelle auch ausdrücklich über die
Pflichten der Lebenden gegenüber ihren Vorfahren gesprochen: „So lange eine
Geschlechterverfassung existirt, ist die Erhaltung des Geschlechts eine unab-
weisliche Pflicht jedes Mannes. Er verheirathet sich nicht aus irgend welcher
persönlichen Zuneigung zu einem Weibe, sondern um einen Sohn zu hinterlas-
sen, welcher geeignet ist, nach des Erzeugers Tode das Geschlecht zu vertreten.
Er genügt dadurch einer sittlichen Pflicht gegen seine Vorfahren." (Ebd., 381)
Das spiegelt eine in den 1880er Jahren rege geführte, ethnologisch-historische
Debatte über den Ahnenkult wider (im Gefolge von Herbert Spencer sowie von
Numa Denis Fustel de Coulanges' La Cite antique von 1864), die Orsucci 1996,
205-213 rekapituliert. An dieser Debatte hat Post in späteren Werken partizi-
piert, die N. nicht mehr lesen konnte. Vgl. NK 327, 25-32.
Religionswissenschaftlich unterfüttert haben dürfte N. den in GM II 19 ver-
tretenen Standpunkt hingegen durch die Lektüre von Julius Lipperts Christen-
thum, Volksglaube und Volksbrauch, das N. am 13. 04. 1885 erworben hatte
(NPB 361) und das er ein Jahr später, am 10. 04. 1886, Overbeck nahelegte:
„Gestatte mir ein Buch gerade Dir zu empfehlen, von dem man in Deutschland
nichts wissen will, aber das viel von meiner Art, über Religion zu denken,