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582 Zur Genealogie der Moral

Originalwortlautes - nicht nur durch das Weglassen des „gleichsam", sondern
vor allem dadurch, dass Kant im Unterschied zu GM III 25 die unendliche Erhe-
bung als eines denkenden, das All erfassenden Wesens gerade gegen die Ver-
nichtung des Selbstbewusstseins ins Feld führt. Diese Vernichtung der eigenen
Wichtigkeit betrifft bei Kant ja nur die physisch-materielle, aber eben nicht die
intellektuelle Seite der Person: Das kantische Subjekt fühlt sich keineswegs
gedemütigt und marginalisiert, sondern als intelligentes bzw. intelligibles We-
sen über die Natur, hier in Gestalt des Sternenhimmels, erhaben. Thatcher
1989, 597 f. behauptet hingegen, N. missverstehe Kant insofern, als bei diesem
ja nicht von Astronomie, sondern von der immensen Weite des Universums die
Rede sei. Wie auch Maudemarie Clark und Alan J. Swensen in Nietzsche 1998,
164 hervorheben, trifft Thatchers Kritik nicht zu, denn es ist ja gerade die neu-
zeitliche Astronomie, die die unendliche Weite des Universums und die kosmi-
sche Marginalität der Erde entdeckt hat, die Kants Betrachtung zugrunde liegt.
Das Zitat selbst hat N. nicht aus der Originallektüre der Kritik der praktischen
Vernunft (AA V, 161f.), sondern aus dem Kant-Band von Kuno Fischers Ge-
schichte der neuern Philosophie übernommen, der den Originalwortlaut (fast)
so verkürzt und umstellt, wie er sich dann in NL 1887, KSA 12, 7[4], 269, 7-
18 wiederfindet (Fischer 1869, 4, 178). Fischer hat, was N. eben ausblendet,
vorausgeschickt: „Was uns als sinnliche Wesen demüthigt, das erhebt uns als
geistige Wesen." (Ebd., 177) Die einzige bemerkenswerte Abweichung in N.s
Wiedergabe sowohl von Fischer wie von Kants Original besteht in NL 1887,
KSA 12, 7[4], 269, 9 f. in der Transposition der ersten Person Singular („der
gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir" bei Kant und
Fischer) in die erste Person Plural („der gestirnte Himmel über uns und das
moralische Gesetz in uns"). Letztere Fassung war N. aus Liebmann 1880, 392
(mit abgeschnittener Marginalie von N.s Hand) geläufig.
404, 31 f. Form von stoischer Ataraxie\ Es handelt sich um die einzige Stelle,
die in N.s Werken den Begriff der aTapa^ia, der Unerschütterlichkeit aufruft.
Epikur sah in ihr das Ziel menschlichen Glücksbemühens (Diogenes Laertius:
De vitis X 128 u. 136), worin ihm die pyrrhonischen Skeptiker folgten (vgl.
NK 398, 30). Die späteren Stoiker, die eigentlich den Begriff der Apathie vor-
zogen, griffen die Ataraxie auf und verbanden sie mit der Apathie (Epiktet:
Encheiridion 12, 2. In der unter N.s Büchern erhaltenen Epiktet-Übersetzung:
„Man verschüttet dir dein bischen [sic] Oel, man stielt [sic] dir dein bischen
Wein: Sprich dabei: So theuer kommt Affektlosigkeit, so theuer kommt Ge-
müthsruhe zu stehen." Epiktetos 1783, 21. Die zugehörige Fußnote 21 auf S. 21 f.
nennt und erläutert die griechischen Ausdrücke dndOeia und drapa^a). Im
Epiktet-Kommentar von Simplikios, den N. studiert hat, wird Ataraxie mit „Un-
 
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