Metadaten

Marx, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 10. Abhandlung): Die Entwicklung der Reflexlehre seit Albrecht von Haller bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: vorgelegt in der Sitzung am 16. November 1938 — Heidelberg, 1939

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43756#0054
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
54

Ernst Marx :

reizte, sich zu bewegen und zwar gemeinsam zu be-
wegen“. Auf S. 32 finden wir: „Die Kontraktilität der Iris dauert
aber dessen ungeachtet (nach Entfernung eines Großhirnlappens)
fort. Wenn man die Conjun ktiven, die Sehnerven, die
Corpora quadrigemina ein wenig reizt, wird dieselbe
sogar convu lsivisch“. Ich bringe diese Zitate hier, wo sie
zeigen, daß Flourens eben aus dieser Anschauung heraus keinen
Reflex sehen konnte und ihn überhaupt nicht brauchte zur Über-
leitung von peripherer Erregung zur Erregung einer Muskelkon-
traktion: denn diese Fähigkeit zu erregen kommt Nerven und
Rückenmark an sich zu, und wenn irgendwo durch Reizung
diese Fähigkeit einmal in Aktion tritt, dann übt sie ihren Einfluß
aus: was mit dem gereizten Nervenstück in Verbindung steht,
gerät in dieselbe Aktion, wenn es sich um Nerv oder Rücken-
mark handelt; an dem Ort, wo der erste Affekt weiter-
wirkt, kommt es entwederzu einerEmpfindung oder
zu einerMuskelkontraktion. — Das Herauslösen der Exzita-
bilität, das Verabsolutieren dieser Eigenschaft, macht, daß Flou-
rens ebensoweit vom Reflexbegriff entfernt ist wie Bell und
Magendie. Das Rückenmark ist bei ihm dafür da, „zu Gesamt-
bewegungen zu vereinigen“. Wir müssen die hier behandelten
Bemerkungen von Flourens als einen Exkurs in der Entwicklung
der Nervenphysiologie ansehen. In der Wissenschaft haben die
aus ihnen möglichen Schlüsse überhaupt nicht existiert. Was
Flourens beobachtet und formuliert hatte, war auch schon aus
früherer Zeit als Beobachtung bekannt: Redi und Boyle sollen
bemerkt haben, daß der Schwanz eines Kaltblüters nach Abtren-
nung vom Körper noch Bewegungen ausführte, die vollständig
aufhörten, wenn das im Schwanz befindliche Rückenmark zer-
stört worden war.
Flourens Aufteilung vieler Erscheinungen in Kräfte und Eigen-
schaften des Nervensystems, sobald auch ein anatomisch eigenes
Gebilde dafür zu bezeichnen war, wurde in seiner konsequenten
Materialisierung der Wegweiser in die freie Bahn der scheinbar
so einfachen Betrachtungsweise, die für die erste Hälfte des
19. Jahrhunderts bezeichnend wurde. Es ist sicher gerechtfertigt,
von den Gefahren seiner Formulierungen zu sprechen, denn es
ist nicht zu bezweifeln, daß seine Konkretisierung aller Teile
des Nervensystems und jedes Vorgangs eine Vorstellung von
Funktionen ergab, die nicht anschaulich zu machen waren und
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften