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Ernst Marx:
Eduard Pflügers Schrift „Die sensorischen Funktionen
des Rückenmarks der Wirbeltiere“.
Ich habe mit dem Vorhergehenden meine Betrachtungen über
den nervösen Ablauf nach peripherem Reiz bis zur darauffolgenden
Reaktion unter besonderer Berücksichtigung des Rückenmarks-
reflexes abgeschlossen. Johannes Müller und M. Schiff ließen
den nervösen Vorgang und die psychophysische Existenz des
Menschen unter dem direkt wirkenden Einfluß der Außenwelt
vor uns erstehen, bei Johannes Müller nervenmechanisch-psy-
chologisch verständlich, bei M. Schiff nervenmechanisch-erkennt-
nistheoretisch begreifbar ■— wobei das Letztere uns nicht nur in
dieser Form vor Augen geführt, sondern auch als so seiend hin-
gestellt wurde. Wir haben dadurch zwar nicht den Eindruck ge-
wonnen, daß unsere Existenz so sei, aber wir sind zu einem Be-
griff von der Rezeption und der Empfindung geführt worden, der
außerhalb der Irritabilitätsmechanik und der Reflexion und auch
außerhalb der reinen Psychologie liegt — wir können davon
sprechen, daß es eine physiologisch zu fassende Empfindung
geben müßte, die sich ausdrücken würde im Seelischen und im
Effekt, der wir sowohl den „seelichen Eindruck“ als auch den
„seelischen Akt“ zuerkennen müßten. Im Zentralnervösen ginge
dann eine Verarbeitung vor sich, die Zentralorgane machten
den Kalkül in der Art einer Sinngebung. Die alte Auffassung
der Reflexlehre „zentripetal = zentrifugal“ gab keine Vorstellung
eines lebenden Wesens, die Auffassung Johannes Müller’s vom
Gleichgewicht zwischen sensiblen und motorischen Nerven und den
Zentralorganen führte schon eher zur Vorstellung eines Balance-
ments, d. h. eines lebendigen Vorgangs. Schiff’s Reflexions-
mechanismus und die von Pflüger stammende wahre Empfin-
dung im Rückenmark — beides machte immer mehr zur Annahme
einer Auflockerung bereit.
Ich muß mich jetzt noch mit Eduard Pflüger’s Schrift: „Die
sensorischen Funktionen des Rückenmarks der Wirbeltiere nebst
einer neuen Lehre über die Leitungsgesetze der Reflexionen“
(1853) befassen. Pflüger kämpfte darin gegen den alten mechani-
schen Materialismus, wobei es ihm darum ging, daß nicht der Ein-
druck erweckt wurde, als liefe der Impuls im sensiblen Nerven über
das Rückenmark vermöge seiner Art und Fähigkeit in den moto-
rischen Nerven über; er stellte sich gegen diese Form des Vor-
Ernst Marx:
Eduard Pflügers Schrift „Die sensorischen Funktionen
des Rückenmarks der Wirbeltiere“.
Ich habe mit dem Vorhergehenden meine Betrachtungen über
den nervösen Ablauf nach peripherem Reiz bis zur darauffolgenden
Reaktion unter besonderer Berücksichtigung des Rückenmarks-
reflexes abgeschlossen. Johannes Müller und M. Schiff ließen
den nervösen Vorgang und die psychophysische Existenz des
Menschen unter dem direkt wirkenden Einfluß der Außenwelt
vor uns erstehen, bei Johannes Müller nervenmechanisch-psy-
chologisch verständlich, bei M. Schiff nervenmechanisch-erkennt-
nistheoretisch begreifbar ■— wobei das Letztere uns nicht nur in
dieser Form vor Augen geführt, sondern auch als so seiend hin-
gestellt wurde. Wir haben dadurch zwar nicht den Eindruck ge-
wonnen, daß unsere Existenz so sei, aber wir sind zu einem Be-
griff von der Rezeption und der Empfindung geführt worden, der
außerhalb der Irritabilitätsmechanik und der Reflexion und auch
außerhalb der reinen Psychologie liegt — wir können davon
sprechen, daß es eine physiologisch zu fassende Empfindung
geben müßte, die sich ausdrücken würde im Seelischen und im
Effekt, der wir sowohl den „seelichen Eindruck“ als auch den
„seelischen Akt“ zuerkennen müßten. Im Zentralnervösen ginge
dann eine Verarbeitung vor sich, die Zentralorgane machten
den Kalkül in der Art einer Sinngebung. Die alte Auffassung
der Reflexlehre „zentripetal = zentrifugal“ gab keine Vorstellung
eines lebenden Wesens, die Auffassung Johannes Müller’s vom
Gleichgewicht zwischen sensiblen und motorischen Nerven und den
Zentralorganen führte schon eher zur Vorstellung eines Balance-
ments, d. h. eines lebendigen Vorgangs. Schiff’s Reflexions-
mechanismus und die von Pflüger stammende wahre Empfin-
dung im Rückenmark — beides machte immer mehr zur Annahme
einer Auflockerung bereit.
Ich muß mich jetzt noch mit Eduard Pflüger’s Schrift: „Die
sensorischen Funktionen des Rückenmarks der Wirbeltiere nebst
einer neuen Lehre über die Leitungsgesetze der Reflexionen“
(1853) befassen. Pflüger kämpfte darin gegen den alten mechani-
schen Materialismus, wobei es ihm darum ging, daß nicht der Ein-
druck erweckt wurde, als liefe der Impuls im sensiblen Nerven über
das Rückenmark vermöge seiner Art und Fähigkeit in den moto-
rischen Nerven über; er stellte sich gegen diese Form des Vor-