Entwicklung der Reflexlehre 75
typie charakteristisch. Diese Bewegungen sind in ihrem Wesen
nicht veränderlich — vielmehr muß eine Vernünftigkeit des In-
dividuums und seines Bauplans nach diesen präformiert ange-
nommenen Bewegungen behauptet werden. Hall kann nach
allem diesem sagen, daß Empfindung keine Rolle als auslösendes
Moment in der Excito-motorik spielt, er ist dabei aber in gröb-
ster Weise den Ideen von den verschiedenen Eigenschaften und
Kräften der verschiedenen Teile des Nervensystems verhaftet.
Man muß gegen ihn das Gleiche sagen, was sich mit Einschrän-
kungen gegen Flourens sagen ließ; man kann es vielleicht hier-
nach so formulieren: vor der Materie des Nervensystems und vor
seiner Aufgabe und besonders vor der Spezifität des ganzen
Nervensystems, wie wir sie später erkenntnistheoretisch begreifen
lernen, steht — der Materie aufoktroyiert — die „Kraft“, deren
Basis zwar die Materie ist, deren sinnfällige Erscheinungen aber
nur als Kraftwirkungen zu begreifen sind. — Wenn Hall sagt, statt
Empfindung mache der Reiz beim dekapitierten Tier eine andere
Eigenschaft des Nervensystems frei, wodurch die Motorik der
Excito-motorik ausgelöst werde, so bietet das wohl eine gute
Erläuterung zu dem eben Gesagten, fordert aber zur Kritik her-
aus. Und beim kompletten Tier mache der gleiche Reiz, über
einen sensiblen Nerven gehend, Empfindung und löse, über einen
Nerven des excito-motorischen Nervensystems gehend, die excito-
motorischen Bewegungen aus — so heißt es bei Hall. Die Grob-
heit der excito-motorischen „Kraft“ wird allerdings bei Hall
dadurch gemildert, daß die Reize auf die membranösen Teile
treffen und darin auch die Nerven erreichen, nicht auf die
Nerven selbst. Man kann vielleicht nur von hier aus seiner Auf-
fassung näher kommen. Es geht auch hierbei eine richtige Re-
zeption des Reizes vor sich, bloß nennt Hall diesen und den
zentralen Akt, der nicht bewußt wird und keinen Schmerz aus-
löst, nicht Empfindung und belegt ihn auch nicht mit einem
anderen Ausdruck, der irgendwie deutlicher die lebendige Sub-
stanz einfügte; dem Wesen der Empfindung hat er nie nach-
gespürt. Wir gewinnen aber doch nur Verständnis für seine An-
schauungen, wenn wir im Gegensatz zu ihm die Abgrenzung der
Reflexbewegungen gegen die Empfindung-Willkürbewegungen
nicht so starr vornehmen, und das wird möglich, wenn man den
Blick vom Resultat: Bewegung wegwendet und dem ganzen
Vorgang und Ablauf sich zuwendet, ihn in toto zu erfassen ver-
sucht.
typie charakteristisch. Diese Bewegungen sind in ihrem Wesen
nicht veränderlich — vielmehr muß eine Vernünftigkeit des In-
dividuums und seines Bauplans nach diesen präformiert ange-
nommenen Bewegungen behauptet werden. Hall kann nach
allem diesem sagen, daß Empfindung keine Rolle als auslösendes
Moment in der Excito-motorik spielt, er ist dabei aber in gröb-
ster Weise den Ideen von den verschiedenen Eigenschaften und
Kräften der verschiedenen Teile des Nervensystems verhaftet.
Man muß gegen ihn das Gleiche sagen, was sich mit Einschrän-
kungen gegen Flourens sagen ließ; man kann es vielleicht hier-
nach so formulieren: vor der Materie des Nervensystems und vor
seiner Aufgabe und besonders vor der Spezifität des ganzen
Nervensystems, wie wir sie später erkenntnistheoretisch begreifen
lernen, steht — der Materie aufoktroyiert — die „Kraft“, deren
Basis zwar die Materie ist, deren sinnfällige Erscheinungen aber
nur als Kraftwirkungen zu begreifen sind. — Wenn Hall sagt, statt
Empfindung mache der Reiz beim dekapitierten Tier eine andere
Eigenschaft des Nervensystems frei, wodurch die Motorik der
Excito-motorik ausgelöst werde, so bietet das wohl eine gute
Erläuterung zu dem eben Gesagten, fordert aber zur Kritik her-
aus. Und beim kompletten Tier mache der gleiche Reiz, über
einen sensiblen Nerven gehend, Empfindung und löse, über einen
Nerven des excito-motorischen Nervensystems gehend, die excito-
motorischen Bewegungen aus — so heißt es bei Hall. Die Grob-
heit der excito-motorischen „Kraft“ wird allerdings bei Hall
dadurch gemildert, daß die Reize auf die membranösen Teile
treffen und darin auch die Nerven erreichen, nicht auf die
Nerven selbst. Man kann vielleicht nur von hier aus seiner Auf-
fassung näher kommen. Es geht auch hierbei eine richtige Re-
zeption des Reizes vor sich, bloß nennt Hall diesen und den
zentralen Akt, der nicht bewußt wird und keinen Schmerz aus-
löst, nicht Empfindung und belegt ihn auch nicht mit einem
anderen Ausdruck, der irgendwie deutlicher die lebendige Sub-
stanz einfügte; dem Wesen der Empfindung hat er nie nach-
gespürt. Wir gewinnen aber doch nur Verständnis für seine An-
schauungen, wenn wir im Gegensatz zu ihm die Abgrenzung der
Reflexbewegungen gegen die Empfindung-Willkürbewegungen
nicht so starr vornehmen, und das wird möglich, wenn man den
Blick vom Resultat: Bewegung wegwendet und dem ganzen
Vorgang und Ablauf sich zuwendet, ihn in toto zu erfassen ver-
sucht.