Ernst Marx:
nungen auf Grund physikalischer Prozesse gefordert, suchte Johannes
Müller, der zuvor noch ganz in naturphilosophischen Anschauungen ver-
strickt gewesen, nunmehr in allen seinen physiologischen Arbeiten der
induktiven Forschung freie Bahn zu brechen und immer mehr die deduk-
tiven Methoden und methaphysischen Anschauungen in den Hintergrund
zu drängen. Aber er konnte sich von dem Gedanken nicht frei machen,
daß es eine von den chemischen und physikalischen Kräften, welche
innerhalb des Organismus wirken, verschiedene einheitliche Lebenskraft
gibt, fähig, die Wirksamkeit jener Kräfte zu binden und zu lösen; der
Tod nur vernichtet sie, die gehemmten Kräfte werden frei und rufen
Fäulnis und Verwesung hervor - die Lebenskraft ist verschwunden und
durch nichts ersetzt, in keine andere wahrnehmbare Kraft umgewandelt.
Müller machte aber auch aus der Inkonsequenz seiner Anschauung kein
Hehl, und daher fanden sich in dem Bestreben, die Physiologie nach den
Grundsätzen exakter Forschung konsequent und einheitlich zu entwickeln,
die vier genialen jungen Naturforscher zusammen, Brücke, du Bois,
Helmholtz und Virchow, um aus derjenigen Disziplin der Physiologie,
die jeder von ihnen sich zu seiner Domäne gewählt, die Lebenskraft voll-
ends zu verscheuchen und die Physiologie als einen Zweig der Physik
und Chemie zu kultivieren.“
Obwohl ich Koenigsberger nicht für einen kompetenten Be-
urteiler halten kann, erscheint mir sein Urteil über Johannes
Müller und die Physiologie trotzdem erwähnenswert. Ich habe
allerdings die nicht geklärten Fragen der Physiologie und Psycho-
logie bei Johannes Müller nie im Zeichen einer klar er-
kannten Inkonsequenz stehen sehen; daß sich für ihn die Lebens-
kraft und die physikalisch-chemischen Kräfte nicht befriedigend
miteinander vereinen ließen, würde wahrscheinlich Johannes
Müller niemals geleugnet haben, aber es geschähe sicher nicht
im Gefühl einer Inkonsequenz in seiner Forschung. Doch kann
man sagen, daß Johannes Müller die Grundfragen tieri-
scher Organisation und tierischen Lebens nicht zu bereichern
wußte; er gibt in den „Prolegomena“ zu seinem „Handbuch der
Physiologie“ nicht mehr, als was die Forscher vor ihm zusam-
mengetragen hatten: er hatte eben nichts entscheidend Neues hin-
zuzutun. Seine eigene Forschung ging im Grunde schon empiri-
sche Wege, deren Möglichkeiten er mit Befriedigung feststellt;
wir dürfen uns dabei nicht täuschen lassen durch seine über-
zeugend vorgebrachte Mechanik des nervösen Geschehens, er
trieb die Kenntnis und die Deduktion von Erscheinungen, die
phänomenal waren, zu Kräften und Erscheinungsformen vor, wo-
mit er der empirischen Forschung allerdings keinen Dienst leistete,
ja sie sogar in Gefahr brachte, aber er wahrte stark den Abstand
nungen auf Grund physikalischer Prozesse gefordert, suchte Johannes
Müller, der zuvor noch ganz in naturphilosophischen Anschauungen ver-
strickt gewesen, nunmehr in allen seinen physiologischen Arbeiten der
induktiven Forschung freie Bahn zu brechen und immer mehr die deduk-
tiven Methoden und methaphysischen Anschauungen in den Hintergrund
zu drängen. Aber er konnte sich von dem Gedanken nicht frei machen,
daß es eine von den chemischen und physikalischen Kräften, welche
innerhalb des Organismus wirken, verschiedene einheitliche Lebenskraft
gibt, fähig, die Wirksamkeit jener Kräfte zu binden und zu lösen; der
Tod nur vernichtet sie, die gehemmten Kräfte werden frei und rufen
Fäulnis und Verwesung hervor - die Lebenskraft ist verschwunden und
durch nichts ersetzt, in keine andere wahrnehmbare Kraft umgewandelt.
Müller machte aber auch aus der Inkonsequenz seiner Anschauung kein
Hehl, und daher fanden sich in dem Bestreben, die Physiologie nach den
Grundsätzen exakter Forschung konsequent und einheitlich zu entwickeln,
die vier genialen jungen Naturforscher zusammen, Brücke, du Bois,
Helmholtz und Virchow, um aus derjenigen Disziplin der Physiologie,
die jeder von ihnen sich zu seiner Domäne gewählt, die Lebenskraft voll-
ends zu verscheuchen und die Physiologie als einen Zweig der Physik
und Chemie zu kultivieren.“
Obwohl ich Koenigsberger nicht für einen kompetenten Be-
urteiler halten kann, erscheint mir sein Urteil über Johannes
Müller und die Physiologie trotzdem erwähnenswert. Ich habe
allerdings die nicht geklärten Fragen der Physiologie und Psycho-
logie bei Johannes Müller nie im Zeichen einer klar er-
kannten Inkonsequenz stehen sehen; daß sich für ihn die Lebens-
kraft und die physikalisch-chemischen Kräfte nicht befriedigend
miteinander vereinen ließen, würde wahrscheinlich Johannes
Müller niemals geleugnet haben, aber es geschähe sicher nicht
im Gefühl einer Inkonsequenz in seiner Forschung. Doch kann
man sagen, daß Johannes Müller die Grundfragen tieri-
scher Organisation und tierischen Lebens nicht zu bereichern
wußte; er gibt in den „Prolegomena“ zu seinem „Handbuch der
Physiologie“ nicht mehr, als was die Forscher vor ihm zusam-
mengetragen hatten: er hatte eben nichts entscheidend Neues hin-
zuzutun. Seine eigene Forschung ging im Grunde schon empiri-
sche Wege, deren Möglichkeiten er mit Befriedigung feststellt;
wir dürfen uns dabei nicht täuschen lassen durch seine über-
zeugend vorgebrachte Mechanik des nervösen Geschehens, er
trieb die Kenntnis und die Deduktion von Erscheinungen, die
phänomenal waren, zu Kräften und Erscheinungsformen vor, wo-
mit er der empirischen Forschung allerdings keinen Dienst leistete,
ja sie sogar in Gefahr brachte, aber er wahrte stark den Abstand