Metadaten

Buddenbrock, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1917, 1. Abhandlung): Die Lichtkompaßbewegungen bei den Insekten, insbesondere den Schmetterlingsraupen — Heidelberg, 1917

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34624#0019
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Lichtkompaßbewegungen bei den Insekten. (B. 1) 11

Glühbirne. Die drehbare Scheibe ist von derselben etwa einen Meter
entfernt.
Die Raupe kriecht auf der Scheibe in irgend einer Richtung
davon, beispielsweise so, daß das Licht senkrecht auf die linke
Körperseite auftrifft, Ablenkungen werden in gewohnter Weise
korrigiert, was uns nichts Neues lehrt. Nun aber mache ich ein
anderes Experiment: Ich schalte die Glühbirne I aus und halte
gleichzeitig auf der anderen (rechten) Seite der Raupe eine andere
Glühbirne II hin. Erfolg: die Raupe kehrt um und kriecht in ent-
gegengesetzter Richtung weiter, derart, daß wie vorher die linke
Seite beleuchtet ist. (Textfigur 4.)
Der Versuch ist so und so oft wiederholbar.
Hiermit ist bewiesen, daß sich die Raupe zwar nach der stärk-
sten vorhandenen Lichtquelle orientiert, nicht aber so, daß sie
darauf zukröche, sondern derart, daß sie ihre relative Lage zum
Lichtstrahl beizubehalten sucht, den Lichtstrahl folglich stets
unter demselben Winkel schneidet. Unter natürlichen Umständen
ist die orientierende Lichtquelle die Sonne; da die Sonnenstrahlen
parallel sind, folgt hieraus die Notwendigkeit eines geradlinigen
Laufes. Wie ich nachträglich der Literatur entnehme, ist der hier
geschilderte Versuch und die aus ihm gefolgerte Erkenntnis nicht
völlig neu. Die Wissenschaft verdankt ihn dem Ameisenforscher
SANTsem, der die Gültigkeit indessen nur für die Ameisen nach-
wies. Bei diesen hochentwickelten Tieren liegt aber die Sache
wesentlich komplizierter, indem hier der Prozeß in gewissem
Sinne umkehrbar ist. Die Ameise ist an ihr Nest gebunden, zu dem
sie nach jedem Ausflug zurückkehrt. Dies wird von anderen Fak-
toren abgesehen, durch folgenden Mechanismus ermöglicht: Lief
die Ameise beim Hinwege so, daß die Lichtstrahlen etwa von rechts
hinten kamen, so stellt sie sich beim Rückwege gerade umgekehrt
zum Licht, das jetzt also von links vorn einfallen muß. Dieser
Vorgang ist physiologisch außerordentlich kompliziert, und bisher
stand er völlig isoliert da. Durch die Ergebnisse des vorliegenden
Aufsatzes verliert die Orientierungsfähigkeit der Ameisen indessen
einen Teil ihrer Erstaunlichkeit, indem wir sehen, daß sie auf
der primitiveren aber im Prinzip gleichen Fähigkeit anderer In-
sekten fußt, sich nach der Sonne zu orientieren.
An sich ist also die Raupe nach allen Richtungen hin völlig
frei beweglich, sie braucht sich weder auf die Sonne zu zu bewegen,
noch von ihr weg, nur muß sie während der Bewegung die Sonnen-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften