Anatomie als pädagogische Aufgabe.
(B. 6) 5
Im stets gesteigerten rastlosen Eindringen in den unendlichen
Stoff wissenschaftlicher Denktätigkeit, hat der Stoff von uns in
einem solchen Grade Besitz ergriffen, daß er den Lehrer und
Erzieher in gewissem Sinne überwältigte. Darum stehen wir Hoch-
schullehrer vor der Notwendigkeit einer pädagogischen Neu-
orientierung und mir will scheinen, daß diese recht gründlich
wird sein müssen. Sie ist ebensowohl nötig um des geistigen Lebens
der Jugend, wie der ganzen Nation willen, als auch um unserer
selbst willen, damit wir wieder vollwertige, selbstlose und zielklare
Erzieher werden, denn es ist ja leider wahr: die Bescheidenheit der
Selbsterkenntnis, die natürliche Einordnung in die Volksgemein-
schaft, die bewegliche Vielseitigkeit des echt wissenschaftlichen,
befreienden Denkens sie sind mit den glänzenden Zeiten allmäh-
lich zurückgetreten, haben einem sich überhebenden Spezialisten-
tum und manchem Unkraut Platz gemacht, das nicht recht zu
deutscher Art und echter Wissenschaft paßt. Niemals sind aus
geistiger Zersplitterung und enger Einseitigkeit wirkliche, große
Erzieher hervorgegangen, vielmehr stammen sie immer aus den
Kreisen, die Gründlichkeit im kleinen, mit Weite des Überblickes
im großen verbinden, die nicht vom Stoff beherrscht werden,
sondern ihn meistern. Einer einseitigen Überwertung der bloßen
Erziehertätigkeit soll damit keineswegs das Wort geredet sein,
wir würden damit nur aus dem Extrem des überschätzten Forscher-
tums auf den Lehrstühlen in das andere verfallen. Aber mehr
tiefe Liebe und mehr selbstlose Hingabe zum Lehrberuf, mehr
williges Verständnis für die Jugend und die geistigen Nöte des
ganzen Volkes muß werden. Auch die reine Forschung wird dabei
ihren Vorteil finden, denn gerade aus dem weiteren Gesichtskreis,
wie ihn der gute Lehrer haben muß, der sich nicht hinter den Mauern
der Fachdisziplin verschanzt, sondern über sie hinauszuschauen
vermag, ersprießen den Forscher die wertvollsten Intuitionen, er
lernt Scheinlösungen der Probleme als solche erkennen und dann
türmen sich vor ihm die neuen Fragestellungen auf, die in fleißiger
Arbeit zu verfolgen den Schweiß wohl lohnt.
Die eben entwickelten Gedankengänge sind in den letzten
Monaten von ganz verschiedenen Seiten in mehr oder minder
ähnlicher Form vielfach ausgesprochen worden. Mir brennen sie
seit Jahren auf der Seele und öfters habe ich in solchem Sinne
zu den Jungen gesprochen, allmählich — mich selbst wandelnd —
(B. 6) 5
Im stets gesteigerten rastlosen Eindringen in den unendlichen
Stoff wissenschaftlicher Denktätigkeit, hat der Stoff von uns in
einem solchen Grade Besitz ergriffen, daß er den Lehrer und
Erzieher in gewissem Sinne überwältigte. Darum stehen wir Hoch-
schullehrer vor der Notwendigkeit einer pädagogischen Neu-
orientierung und mir will scheinen, daß diese recht gründlich
wird sein müssen. Sie ist ebensowohl nötig um des geistigen Lebens
der Jugend, wie der ganzen Nation willen, als auch um unserer
selbst willen, damit wir wieder vollwertige, selbstlose und zielklare
Erzieher werden, denn es ist ja leider wahr: die Bescheidenheit der
Selbsterkenntnis, die natürliche Einordnung in die Volksgemein-
schaft, die bewegliche Vielseitigkeit des echt wissenschaftlichen,
befreienden Denkens sie sind mit den glänzenden Zeiten allmäh-
lich zurückgetreten, haben einem sich überhebenden Spezialisten-
tum und manchem Unkraut Platz gemacht, das nicht recht zu
deutscher Art und echter Wissenschaft paßt. Niemals sind aus
geistiger Zersplitterung und enger Einseitigkeit wirkliche, große
Erzieher hervorgegangen, vielmehr stammen sie immer aus den
Kreisen, die Gründlichkeit im kleinen, mit Weite des Überblickes
im großen verbinden, die nicht vom Stoff beherrscht werden,
sondern ihn meistern. Einer einseitigen Überwertung der bloßen
Erziehertätigkeit soll damit keineswegs das Wort geredet sein,
wir würden damit nur aus dem Extrem des überschätzten Forscher-
tums auf den Lehrstühlen in das andere verfallen. Aber mehr
tiefe Liebe und mehr selbstlose Hingabe zum Lehrberuf, mehr
williges Verständnis für die Jugend und die geistigen Nöte des
ganzen Volkes muß werden. Auch die reine Forschung wird dabei
ihren Vorteil finden, denn gerade aus dem weiteren Gesichtskreis,
wie ihn der gute Lehrer haben muß, der sich nicht hinter den Mauern
der Fachdisziplin verschanzt, sondern über sie hinauszuschauen
vermag, ersprießen den Forscher die wertvollsten Intuitionen, er
lernt Scheinlösungen der Probleme als solche erkennen und dann
türmen sich vor ihm die neuen Fragestellungen auf, die in fleißiger
Arbeit zu verfolgen den Schweiß wohl lohnt.
Die eben entwickelten Gedankengänge sind in den letzten
Monaten von ganz verschiedenen Seiten in mehr oder minder
ähnlicher Form vielfach ausgesprochen worden. Mir brennen sie
seit Jahren auf der Seele und öfters habe ich in solchem Sinne
zu den Jungen gesprochen, allmählich — mich selbst wandelnd —