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Bluntschli, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1919, 6. Abhandlung): Anatomie als pädagogische Aufgabe — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.36558#0008
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8 (B. 6)

H. BLUNTSCHLi:

den überragenden Wert dieser oder jener Betrachtungsweise hat
die Geschichte der jüngsten Anatomie allzu sehr den Maßstab
dafür verloren, daß gerade in der Vielseitigkeit der beschrittenen
Wege sich allein die größere Annäherung an die einheitliche, tiefere
Erfassung des Forschungs- und Lehrzieles gewinnen läßt. Eben
dieses macht die Freiheit des wissenschaftlichen Denkens aus,
daß es sich der Einheitlichkeit des Objektes allezeit bewußt bleibt
und auch dort, wo das Einzelne zur Darstellung, kommt immer
zugleich das Ganze, dessen Teil es ist, mit zu berücksichtigen
vermag, denn der Teil ist im Organischen sich nie Selbstzweck,
sondern immer nur im Dienste des Ganzen wirklich zu begreifen.
Wir Lehrer von heute fußen auf den Lehrern von gestern und
bei denen haben wir unzweifelhaft reiche Früchte geerntet. Es
ist denn auch größtenteils unsere Schuld und unser Versäumnis,
daß wir wold allzusehr in der gewissen Einseitigkeit der Schulen
und Forschungsrichtungen hängen blieben und nicht ebenso wie
die meisten unsere Lehrer erst aus größerer Vielseitigkeit und um-
fassenderer Tiefe der allgemeinen Vorbildung allmählich (und nicht
ausschließlich) zu bestimmteren Richtungen des wissenschaftlichen
Arbeitens gelangten. Indem wir diese Tatsache mit großem Be-
dauern feststellen, eine Tatsache, die einzugestehen manchen
schwer fällt, die aber aus dem schlichten und unbefangenen Urteil
unserer Studierenden sehr leicht herauszuhören ist, und die die
letzte Ursache für das Verlangen nach einer anderen Art des Unter-
richtes ist, können wir freilich auch das Eine für uns als Entschul-
digung in Anspruch nehmen, was Folge unserer so bedauerlichen
Mechanisierung des Lehr- und Institutsbetriebes gewesen, wir-
waren überlastete Arbeitspferde, die allzu angespannt im Geschirr
standen und allzu wenig Zeit hatten zu geistiger Erholung, Samm-
lung und Selbstbesinnung. Die Reform dieser Verhältnisse für die
Assistenten und jüngeren Lehrkräfte muß eine sehr wichtige Auf-
gabe der kommenden Zeit sein. Doch wir wollen von ihr hier nicht
sprechen.
Die Tatsache steht zweifellos fest, Arbeitsteilung in höhe-
rem Grade tut im Unterricht der Anatomie wirklich not, aber
sie darf nicht allein nach dem Gesichtspunkt methodischer Ab-
trennung neuer Spezialfächer erfolgen, ansonst die heute schon
schwer gefährdete Einheitlichkeit in der Erfassung der Gesamt-
aufgabe noch mehr bedroht würde. Es liegt nicht in meiner Ab-
sicht. die rein organisatorischen Seiten dieser bevorstehenden Ver-
 
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