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Bluntschli, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1919, 6. Abhandlung): Anatomie als pädagogische Aufgabe — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.36558#0011
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Anatomie als pädagogische Aufgabe.

(B. 6) 11

wissenschaftlichen Vorbildung an die Hochschule. Wer die Ver-
hältnisse anderer Länder des deutschen Sprachgebietes kennt,
muß dieses herbe Urteil bestätigen. Indem ich besonders schwei-
zerische Verhältnisse zum Vergleich heranziehe, muß ich vor allem
zwei Momente, die mir immer aufgefallen sind, betonen, der deut-
sche Abiturient ist in naturwissenschaftlichen Dingen nicht nur
viel weniger orientiert, — das ließe sich noch in Kauf nehmen,
denn nicht auf die Menge des Wissens kommt es an — sondern
auch erheblich unkritischer im Urteil. Er ist vielfach ungenügend
aufgeklärt über den Inhalt zahlreicher Begriffe, mit denen er
operiert und es mangelt ihm zunächst vielfach an der tiefen Wert-
schätzung empirischer Erfahrung, ohne die sich ein wirklich natur-
wissenschaftliches Denken und Arbeiten nicht erreichen läßt. Offen-
bar hat er seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse ganz vorwie-
gend auf theoretischem Wege und viel zu wenig zugleich durch
eigene praktische Betätigung gewonnen. Dies bestätigt sich auch
durch die weitere Erfahrung, einer durchschnittlich auffällig großen
manuellen Ungeschicklichkeit, welche ein Großteil der eben ihr
Studium beginnenden jungen Leute zu erkennen gibt. In intellek-
tueller Hinsicht halte ich den deutschen Abiturienten im übrigen
durchaus für gehoben und zugleich für minder schwerfällig als es
der schweizerische ist; jener ist geistig entschieden beweglicher,
faßt wesentlich leichter auf, aber strebt auch mehr nach der Breite
als nach der Tiefe. Zweifellos liegen hier die Ergebnisse verschieden-
artiger Vorbildung vor. Das Erziehungsproblem der deutschen
Gegenwart wird sich in beträchtlichem Grade auch mit den höheren
Schulen als den Vorbereitungsanstalten auf die Hochschulbildung
zu befassen haben, doch möchte ich, da ich eben die gegenwärtige
Lage ins Auge fasse, auf diese Dinge nicht eingehen und mit den
gegebenen Bedingungen rechnen, die sich wohl nur langsam
ändern können, während mir die Beform der Hochschulerziehung
unbedingt zu dringlich erscheint, als daß wir darauf warten könn-
ten bis ein neu Geschlecht mit anderer Vorbildung heranwächst.
Wer Aledizin zu studieren anfängt, will in 99 von 100 Fällen
Arzt werden, aber lange nicht ebensoviele sind sich klar, was das
eigentlich heißt. Bei sehr zahlreichen ist der Wille zu einem freien
und einträglichen Beruf zu kommen weit stärker als der innere
Trieb, ein selbstloser Diener und Helfer der Mitmenschen zu werden
und wie mich deucht, trägt die bisherige Art und Weise unserer
medizinischen Erziehung, namentlich auch der vorklinischen wenig
 
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