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Bluntschli, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1919, 6. Abhandlung): Anatomie als pädagogische Aufgabe — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.36558#0029
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Anatomie als pädagogische Aufgabe.

(B. 6) 29

wir Lehrer viel anderes zu tun hätten als vor übertriebenen Hoff-
nungen und vor erschlaffender Kleinmütigkeit zu warnen. Tiefen-
streben, Beharrlichkeit und Ausdauer, peinliche Gründlichkeit im
Beobachten und Vorsicht im Folgern immer erneut zu lehren und
zu fördern, diese Mühe wird keiner wahren Forschernatur jemals
verdrießlich sein. Daran hat es an deutschen Hochschulen nie
eigentlich gefehlt. Viel mehr Berechtigung kann schon dem Ein-
wand zugebilligt werden, daß methodische Einseitigkeit allzu sehr
im Vordergrund stehe. Ich hielte es aber für falsch, vom Anfänger
im selbständigen Forschen allzuviel auf einmal zu verlangen und
dadurch die wirklich gründliche Schulung in bestimmter Dichtung
in Gefahr zu bringen. Dagegen soll der Lehrer, der den weiteren
Überblick besitzt, immer wieder betonen, daß sich jede Aufgabe
unter verschiedenen Gesichtswinkeln sehen und auf verschiedenen
Wegen erfassen läßt, damit der Lernende, die im Einzelnen wohl
begründete relative Einseitigkeit der Betrachtungsweise nicht zu
gefährlicher Verallgemeinerung der Denkart in sich werden läßt.
Insbesondere müssen alle jene, welche sich Anatomie als Lebens-
aufgabe erküren und somit Forscher und Lehrer werden wollen,
nach und nach auf ganz verschiedenen methodischen Wegen arbei-
ten lernen und der auf ihre wahre Förderung bedachte Lehrer
darf sich nicht aus Liebhaberei für seine eigene Forschungsrichtung
verleiten lassen, seine Schüler methodisch von vorneherein nur
einseitig zu beeinflussen. Hier vor allem kann sich die wahre
menschliche Größe zeigen, die nicht zuerst an die eigenen Ziele,
sondern an die zukünftige Wissenschaft und die Zukunft des
jungen Forschers denkt. Selbstverständlich kommen dabei weder
Zwang noch Druck in Betracht, sondern nur der wohlmeinende
und gut begründete Rat des Meisters dem Jünger gegenüber, für
den selbständige Naturen immer im Grunde des Herzens dankbarer
sind als unselbständige, auch wenn sie dem Rate durchaus nicht
immer zu folgen ebenso leicht bereit sind, wie diese. Von entschei-
dender Bedeutung für die Heranbildung der jungen Forscher und
Lehrergeneration ist meines Erachtens aber, daß man sie nicht
nur eigene Wege gehen und suchen läßt, sondern ihr allezeit auch
vertrauensvoll Einblick in das eigene Arbeiten gewährt. Ich weiß
wohl, daß es Fälle gibt, wo solches Vertrauen sich späterhin als
nicht berechtigt erweist, wo Charakterlosigkeit und ehrgeizige
Raubgier auf geistigem Gebiet den Lehrer in Abgründe blicken
läßt, die er nicht vermutete, aber darnach sich einzustellen halte
 
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