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Bluntschli, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1919, 6. Abhandlung): Anatomie als pädagogische Aufgabe — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.36558#0034
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84 (B. 6)

H. BUJNTSCHU :

befreien. Ich würde hier das Wort zu diesen Ausführungen nicht
ergriffen haben, wüßte ich nicht, daß heute nicht Wenige in der
jungen Generation leben, die den Druck einer Last empfinden und
den Weg zur Befreiung verschlossen glauben. Andere, die den
Druck nicht fühlen, nicht ebenso nach den Pforten drängen, die
aufspringen sollen, sind in gewissem Sinne blind und verständnis-
los gegenüber dem, was nach Gestaltung ringt und was ein in
manchem anderes sein wird, als das, was war. Da keiner die Wege
der Zukunft zu ergründen vermag, glaubt jeder im Rechte zu seiu,
der Neuerer und der Beharrende. Die Wissenschaft aber hat nur
festzustellen, was ist, und zwar wie es wirklich ist, nicht wie es
manchen zu sein scheint, ich habe mich ehrlich bemüht, die wirk-
liche Sachlage zu erkennen und darauf Folgerungen aufzurichten,
denn die Wissenschaft besteht ja auch nicht nur aus Tatsachen,
sondern auch aus Schlüssen, die man daraus zieht (Claude Bernard).
Daß ich, was ich zu sagen habe, ohne Literaturverweise und ohne
Statistiken hier darlege, beweist nichts gegen die sachliche Richtig-
keit im großen Durchschnitt und nur den konnte ich zur Grund-
lage nehmen für meine Folgerungen. Gewiß wird an manchen
Orten dieses und jenes verwirklicht sein, was ich hier als notwendig
oder erstrebenswert verlangte, gewiß sind viele Gedankengänge
ähnlicher Art schon von anderen gedacht oder ausgesprochen wor-
den. Ich wünschte, daß auf keiner Seite Verletzlichkeit oder
Prioritätsansprüche sich geltend machen möchten, denn nichts
liegt mir ferner als blind zu negieren oder anderen etwas wegzu-
nehmen. Ich schrieb in der Stille der Graubündner Berge, umgeben
von Frieden und fern vom Getriebe der ehrgeizigen Welt, was
mir aus wahrhaftiger Erkenntnis und Lebenserfahrung sich als
Ziel und Weg darstellt. Ich dachte dabei an die Zeiten, da ich nur
Lernender war und an das Viele und Wertvolle, was ich meinen
eigenen Lehrern der Jugendzeit danke. Ich schrieb es aber auch
im vollen Bewußtsein dessen, daß ich noch nicht ausgelernt habe
und hoffentlich nie aufhören werde zu lernen. Gleichwohl kann ich
die Gelehrsamkeit allein nicht als das größte Ziel meines Strebens
und meiner Tätigkeit erachten und darum auch als Lehrer nicht
nur gelehrsames Wissen lehren. Menschen zu bilden ist die Auf-
gabe aller Erziehungskunst, auch die Hochschulen haben nicht
nur die Aufgabe, das Wissen zu mehren und zu verbreiten, sondern
auf die ganzen Menschen einzuwirken und sie zu lebensfrohem Wir-
ken und Schaffen fähig zu machen. Daß unsere Hochschulen
 
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