Metadaten

Bluntschli, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1919, 6. Abhandlung): Anatomie als pädagogische Aufgabe — Heidelberg, 1919

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.36558#0033
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Anatomie als pädagogische Aufgabe.

(B. 6) 33

entscheidet, sobald er sieht, daß er bei tüchtigen Leistungen auch
mit größeren und abwechselnden Aufgaben betraut wird, kurzum
daß die Arbeitsteilung nicht von kleineren, sondern von höheren
Gesichtspunkten aus erfolgt, ist das Eis gebrochen und zugleich
dem unseligen Einspännertum, unter dem viele Jüngere kranken,
die Grundlage entzogen.
Die außerordentliche Belastung der Lehrkräfte gerade auf
dem Gebiete der Anatomie zwingt immer mehr dazu, ältere Stu-
dierende als Unterassistenten heranzuziehen. Erfolgt deren Aus-
wahl mit glücklicher Hand, läßt man sie nicht nur auf sich selbst
angewiesen sein, führt man sie zielbewußt in ihren Aufgabenbereich
ein und unterstützt man sie stetig durch belebende Aufmunterung
und wo nötig auch offene Kritik, dann werden sie zu sehr brauch-
baren Mitarbeitern, die selber die außerordentliche Bereicherung
ihres Wissens durch die aktive Lehrbeihilfe dankbarst anerkennen.
Ich glaube, daß wir diesen Weg in noch umfassenderem Grade vor
allem auch deshalb beschreiten sollten, weil damit diese jungen
Leute den Segen der dienenden Arbeit an sich selbst erfahren.
Darauf wird in unserer Erziehung zum ärztlichen Beruf zurzeit
noch viel zu wenig geachtet. Auch sie sollten zugleich teilhaben
an dem geistigen Gemeinschaftsaustausch des Institutes.
Das, was ich hier aus einer bestimmten, mir recht am Herzen
liegenden Betrachtungsart dargelegt habe, wird, daran zweifle ich
nicht, von anderer Seite als einseitig und allzu idealistisch abge-
lehnt werden. Ich fürchte dieses Urteil nicht und weiß ihm sehr
wohl gewichtige Gegenargumente entgegenzustellen. Aber die
Baumbeschränkung zwingt mich hier zur Zurückhaltung. Nur
das Eine sei noch betont, mit der Begründung durch das tradi-
tionelle Herkommen kann man Alles und Jedes, Falsches ebensogut
wie Richtiges angreifen. Die wirklich dem Leben dienende Wissen-
schaft muß immer wieder neu das Leben und seine Bedingungen,
wie sie wirklich zurzeit liegen, ergründen und in Rechnung stellen.
Dieses, das Sehen der Dinge in Bewegung, fällt vielen schwer,
ln den schweren Nöten einer unendlich ernsten Zeit, wie wir sie
heute erleben, sucht jeder nach ruhenden Polen. Aber die liegen
alle nicht außer uns, sondern in uns. Auf die Einstellung der Men-
schen zur Wirklichkeit kommt es an, ob sie diese als lastendes
Joch, oder als sprudelnden Quell nehmen. Es ist mit der Wissen-
schaft auch nicht anders. Auch sie kann bedrückend wirken oder

Sitzungsberichte d. Heideib. Akrd., math.-naturw. Ki. B. 1919. G. Ab!;.

3
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften