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Braune, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 11. Abhandlung): Reim und Vers: eine wortgeschichtliche Untersuchung — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34082#0019
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ReimundVers.

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mäßig durchnummeriert waren. Es ist also zur Bezeichnung
beliebiger Bibelstelien erst seit Ende des 16. Jabrhunderts zu
erwarten. An historisch geordneten Belegen hierfür fehlt es aher
im Dwß. völlig^).
Von den ahd. Belegen bietet der äiteste im Keronischen
Giossar (Gi. 1, 128, 38 versicoli Pa. K. Ba) das Di-
minutivum: die Bedeutung ist hier nicht näiier zu bestimmen.
Die übrigen iassen sich genau nach den beiden Anwendnngen des
lat. versus scheiden. Beide sind hei Otfrid vorhanden. 0 I 12,
26 Mudz /er^^/Ageund 114,63 ir?. ^hewo /e/'^e A hh sind poeti-
sche Bibelstellen gemeinK), während 0 I 1, 34 ioA ^co/ru ce/'^ uuoMe^
dhu/z und I 1, 48 ^AeK^ ^cozzi /A'^ g'ur g'idcm der lateiniscbe versus
metricus vorliegt, den der fränkische Dichter formeli zwar nicht
erreichen, aber durch frommes Leben ersetzen könne. Auch seine
eigenen deutschen rhythmischen Verse wird 0. wohi /e/^ genannt
haben, gemäß seiner Äußerung ad Liutbertum: 'sensus enim hic
interdum ultra duo vel tres versus vel etiam quattuor in lectione
debet esse suspensus'. — Ebenso sind bei N. beide Anwendungen
zu belegen. In den Psalmen (ed. PiPER S. 224, 27) bezieht sich
DGcr oer^ frc//e^ ud pu^^io/ie/n auf die iateinische Steiie Ps. 58, 15;

0 Sehr irreführend ist es, wenn Dwß. 12, 1030 für die Bedeutung' 3) eers
= Bibelstelie ais einziger Zeuge Luther angeführt wird, da nach dem oben
Gesagten dies unmöglich ist. Luther konnte eers nur in der mitteialterlichen
Anwendung von einern Psaimvers brauc.hen. YondenbeidenBelegen des
DwB. ist der erste eers psaüc/- szhg-eM 4, 156) von vornherein
ldar. Der zweite (Jenaer Ausg. 7, 348): a&r ^fese/- wrs sctgl usw. ist aus der
Predigt über Psalm 110 vom Jahre 1539. Daselbst kehrt das Wort eers mit
Beziehung auf Psalmverse noch öfter wieder. 'Bibel-Verse' aus anderen bib-
iischen Büchern pflegt Luther mit 'dieser Spruch' anzuführen. In Luthers
Schriften werden Bibelstellen nur nach dem Kapitei zitiert, da ja die 'Vers'-
zahlen noch nicht existierten.
Die bis jetzt nachwirkende Verwirrung in der Anwendung von ce?-s
wäre vermieden worden, wenn die Reformatoren für das kirchliche versus
= Psalmvers das deutsche Wort für die Strophe eingeführt hätten, statt des
Fremdwortes oers. Versucht worden ist es. H. FisciiER, Schwäb. Wb. 3, 446,
zitiert unter gesatz den schwäbischen Reformator Brenz, welcher vom
24. Psalm (= 23. Yulg.) sagt: jDieser psaü??. Acot R? gese/züj?..
^) O I 12, 26 bezieht sich auf den Lobgesangder Engel (das gloria in
excelsis), O II 4, 63 auf Ps. 90,11.12, also beides Stellen, welche der kirchliche
Sprachgebrauch als versus bezeichnete. Die Otfrid-Wörterbücher von KELLE
und PiPER sind also im Irrtum, wenn sie in diesenOtfridstellen dem
den modernen Begriff 'Bibelvers' unterschieben.

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