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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 4. Abhandlung): Die Isisweihe bei Apuleius und verwandte Initiations-Riten — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37637#0049
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Die Isisweihe bei Apuleius und verwandte Initiations-Riten.

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Lichtkreuz der Gnosis, angespielt; die Spekulationen darüber
sind möglicherweise älter als das Christentum und hängen mit
Platons Schilderung der Weltseele οίον χεΐ (Timaeus p. 36BC)
zusammen. Jedenfalls ist die Kreuzesmystik, die Paulus ohne
Beziehung auf eine kultische Handlung vertritt, hier ins Kultisch-
Sakramentale gewendet, möglicherweise unter gleichzeitiger Assi-
milierung einer vorchristlichen Spekulation — ein typisches Bei-
spiel gnostischer Entwicklung.
Wie aber jene bei Paulus und in den Oden bezeugte Mystik
mit ihrer Zurückdrängung oder gar völligen Unterdrückung des
menschlichen Ichs außerchristliches Gut als geistesverwandt
empfindet und assimiliert, dafür bietet ein spätes, aber wohl das
augenfälligste Zeugnis die kleine Gebetssammlung des Berliner
Papyrus 9794 (Berliner Klassikertexte VI, S. UOff.)1. Sie enthält
bekanntlich neben christlichen Texten auch das Schlußgebet aus
dem Poimandres (Corp. Herrn. 1 31 f.) mit ganz geringen Verän-
derungen. Der Christ, der es aufnahm, gleichviel aus welcher
Quelle, empfand die Mystik des Gebets als der seinen verwandt,
und er empfand offenbar nicht, daß am Schluß des Gebets das
Selbstbewußtsein des Mystikers oder richtiger sein mystisches
Gottesbewußtsein in einer Weise gesteigert ist, die auf christlichem
Boden unerträglich scheint: 6 σός άνθρωπος συναγιάζειν σοι βού-
λεται,, καθώς παρέδωκας την πάσαν εξουσίαν αύτω. Die letzten
Worte beziehen sich auf die volle Weihe, auf das Wissen um die
Vergottung, das dem Mysten „überliefert“ wird; die Parallele
bietet I 26 τοΰτό έστι το αγαθόν τέλος τοΐς γνώσιν έσχηκόσι, θεωθήναι.
λοιπον, τί μέλλεις; ούχ ώς πάντα παραλαβών καθοδηγος γίνη τοΐς άξίοις κτλ.
Jener Schluß des Gebets klingt in der Tat so wenig christlich, daß
die Herausgeber des Papyrus, Sci-iubart und Schmidt, ohne
Kenntnis der Übereinstimmung des Textes mit dem Poimandres
eine Lücke postulieren und vermuten mußten, αύτω beziehe sich
auf Christus. Gleichviel ob jene Gebetssammlung großkirchlich
oder gnostisch war, die Tatsache besteht, daß christliche Mystik
ein Gehet nichtchristlicher Herkunft rezipierte.
Wie aber die Mystik schon bei Paulus gelegentlich einen Ein-
fluß auf den Mythus ausübt, der erst in dem gnostischen Vor-
stellungskreise zur vollen Auswirkung kommt, zeigt die Stelle
1 Vgl. Reitzen stein, Gott. Nachrichten 1910, 324 ff.; G. Schmidt, Theo!.
Lit.-Ztg. 1910, 829; Reitzenstein, Gott. Anzeigen 1911, 537ff.; derselbe,
Historia monachorum 213. — Der Papyrus stammt aus dem 3. Jahrhundert.

Sitzungsberichte der I-Ieidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1917. 4. Abh.

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