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Güntert, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 8. Abhandlung): Zur Herkunft und Bildung des italischen Imperfekts: eine sprachwissenschaftliche Untersuchung — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37641#0006
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6

Hermann Güntert:

hinaufreichen müsse; man würde dann etwa zur Annahme gedrängt
werden, ein altes, idg. Tempus wäre in italischer Zeit aus irgend
einem Grunde umgebildet worden: dann wäre also das ital. Imper-
fektum nicht, wie man bis jetzt allgemein geglaubt hat, eine
völlig neue Schöpfung der einzelsprachlich-italischen Periode,
sondern es handelte sich nur um die Umschmelzung und Umbil-
dung einer alten idg. Form, bei der naturgemäß das Wortende
starke Änderung erfahren habe.
6. Sommer schließt sich jetzt in seinen Erl. 142 — etwas
zurückhaltender auch Idandb.2 522 im Gegensatz zu seiner frühe-
ren Ansicht Idandb.1 — der von Stowasser Zeitschr. f. öst.
Gymn. 52, 195 ff. begründeten, von Skutsch aber ebenda und
Atti del congr. intern, di scienze stör. 1, 191—204 = Kleine
Schriften S. 283—296 weiter ausgeführten Lehre an, für die
sich auch Stolz Handb. d. lat. Laut- u. Formenl.4 287 ff.
entscheidet, nach der das italische Imperfekt eine alte Zu-
sammenrückung des Partizipiums Praesentis mit der Kopula
darstellen soll: lege-bam aus *legens-fäm hätte also nach dieser
Ansicht eigentlich bedeutet ,,ich war lesend“, age-bam aus *agens-
fäm „ich war handelnd“, wobei man sich an englische Umschrei-
bungen im Verbum wie I was loving „ich liebte“ usw. erinnere.
Die Form müßte früh erstarrt sein, da man im Plural auch *legens-
fänt (lat. legebant) statt *lege?ites-fänt gebildet hätte.
7. So einfach diese Erklärung auch auf den ersten Blick er-
scheinen mag, so kann ich sie mir doch leider nicht zu eigen machen
und muß gegen sie mit Brugmann IF 30, 342 Fußn., Grdr.2
II, 3, 506 und Walle Gesch. d. idg. Spr. II, 1, 215 die ihr entgegen-
stehenden lautlichen Schwierigkeiten hervorheben. Schon an sich
betrachtet ist der hier vorausgesetzte Lautwandel ital. -ns-f- zu
lat. -b- höchst verdächtig und kann jedenfalls durch kein irgend
sicheres oder nur wahrscheinliches anderes Beispiel gestützt wer-
den. Denn wenn Skutsch Atti a. a. 0. 195f. auf pübes und das
in Cicero-Handschriften gelegentlich auftretende träfero (wie z. B.
Cic. ep. V, 20, 3 traferri, wobei aber die Hs. GR auch transferri
bieten) als zwei Beweisstücke für diesen angeblichen Lautwandel
verweist, hat er kein Glück: bei träfero muß doch zunächst schon
die ganz spärliche Bezeugung stutzig machen; zudem wird ja
-nsf- hier gar nicht zu -b-: Es handelt sich deutlich um ein Ein-
schleppen der vor anderem Konsonantenanlaut aus Irans hervor-
 
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