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Koch, Hugo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 22. Abhandlung): Kallist und Tertullian: ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Bußstreitigkeiten und des römischen Primats — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37699#0034
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30

Hugo Koch:

Genau so steht die Sache noch in der Schrift De jejunio. In
c. 1 weist Tertullian mit derben Worten auf den körperlichen und
seelischen Zusammenhang von „gula“ und „libido“, „jejunium“
und „castitas“ hin. Die Verbindung jener zeigt sich bei den
„Psychikern“, die Verbindung dieser bei den Montanisten. Die
„luxuria“ der Katholiken äußert sich nun aber nicht, wie nach
De pud. c. 1, in der Wiederaufnahme der Unzuchtssünder und
in der Gestattung der zweiten Ehe, sondern nur in der wieder-
holten Ehe: mirarer psychicos, si sola luxuria tenerentur, qua
saepius nubunt, si non etiam ingluvie lacerarentur, qua jejunia
oderunt. Monstrum scilicet haberetur libido sine gula. . . tarn
multivorantiae quam multinubentiae . . . . proinde gulae frenos
induentem per nullas interdum vel seras vel aridas escas, quem-
admodum et libidini per unicas nuptias... quod plane
doceant saepius jejunare quam nubere. Auch in c. 17 weiß Ter-
tullian als Beleg zum Satze „appendices gulae lascivia atque
luxuria est“ nur anzuführen: per lranc (agapen) adulescentes tui
cum sororibus dormiunt, ein unbestimmter und vieldeutiger Vor-
wurf1.
Von einer Lossprechung bei Ehebruch und Unzucht ist nicht
die Rede. Und doch hätte Tertullian hier, wo er darauf ausgeht,
den Katholiken Nachsicht gegen Schlemmerei und Geilheit nach-
zuweisen, diese Karte auszuspielen unter keinen Umständen ver-
säumt, wenn sie schon damals als Trumpf in seiner Hand gewesen
wäre. Hier liegt einer der Fälle vor, wo dem Beweise aus dem
Schweigen durchschlagende Kraft eignet2.
1 Daß diese Verdächtigung in De jejun. c. 17 im Verhältnis zur „An-
spielung“ in De pud. c. 22 („violantur viri ac feminae in tenebris plane ex
usu libidinum nobis“) besonders „deutlich“ sein soll, wie H. Achelis (Das
Christentum in den ersten drei Jahrhunderten, 1912, II, 50 A. 1) meint,
kann ich nicht finden. Wieviel Möglichkeiten das „adulescentes cum sororibus
dormiunt“ offen läßt, zeigt Cyprians Ep. 4 (IIartel 472ff.).
2 Auch E. Nöldechen (Die Abfassungszeit der Schriften Tertullians,
TU. 5, 2, 1888, 134f. u. 138f.) vermißt in De monog. und De jejun. eine
erkennbare Bezugnahme auf die Maßregel Kallists. Ebenso schreibt Harnack
mit vollem Recht (Chronologie der altchristlichen Literatur II, 286): „Das
Indulgenz-Edikt Kallists wäre schwerlich in De monog. und De jejun. un-
erwähnt geblieben, wenn es schon existiert hätte.“ Nur ist damit nicht die
volle Tragweite der in den beiden Schriften eingeschlagenen Gedankengänge
zur Geltung gebracht, weshalb Esser (Schrift 1905, 4f.) dieser Bemerkung
keine entscheidende Bedeutung beilegt. Daß in De pud. die Aufnahme von
digami in den Klerus (De monog. 12) nicht erwähnt wird, nennt Esser
 
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