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Koch, Hugo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 22. Abhandlung): Kallist und Tertullian: ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Bußstreitigkeiten und des römischen Primats — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37699#0052
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Hugo Koch:

In der Beurteilung der Streitpunkte Hippolyts im Vergleich
zu denen Tertullians stimmen Esser und Adam überein. Hippolyt
sage nicht, daß Kallist als erster die Fleischessünder nach ge-
schehener Buße wieder in die Kirche aufgenommen habe,
sondern daß er durch gefügiges Nachgeben gegenüber den sinnlichen
Gelüsten der Gläubigen seine „Schule“ zu bevölkern verstanden
habe. Mit γάρ begründe er dann diesen allgemeinen Vorwurf im
einzelnen: Kallist nehme die von andern Kirchengemeinschaften
entlaufenen oder ausgestoßenen Sünder ohne weiteres auf, ohne
ihnen die frühere Sünde anzurechnen. Ferner habe er entschieden,
daß selbst ein mit Todsünde befleckter Bischof nicht abgesetzt
werden dürfe. Weiter habe man zu seiner Zeit angefangen, zweimal
und dreimal Verheiratete zu Bischöfen, Priestern und Diakonen zu
machen und Kleriker, die nach der Weihe heirateten, im Amte
zu belassen, wie wenn sie nicht gefehlt hätten. Ja er habe vor-
nehmen Frauen standeswidrige Ehen, selbst mit Sklaven gestattet,
was dann vielfach zur Folge gehabt habe, daß diese Frauen nach
Mitteln gegriffen hätten, sich unfruchtbar zu machen oder die
Leibesfrucht abzutreiben. So „lehre er Unzucht und Mord zu-
gleich“. Hippolyts Anklagen hätten also, meinen die beiden Ge-
lehrten, mit der Frage nach der Beichweite der kirchlichen Ver-
gebungsgewalt, wie sie Tertullian angeschnitten habe, nichts zu tun.
Nun ist ja richtig, daß das πρώτος τά προς τάς ήδονάς τοΐς άνθ-ρώ-
ποι,ς συγχωρεΐν έπενόησε allgemein gehalten ist und alles das ein-
schließt, was nachher einzeln aufgezählt wird. Allein der Zusatz:
λέγων πάσιν ύπ’αύτοΰ άφίεσθαι άμαρτίας weist doch sofort auch auf
eine Kundgebung über Sündennachlassung1. Das πασιν kann
als Verallgemeinerung des Streiters und im Sinne des voraus-
gehenden τά προς τάς ήδονάς verstanden werden: allen, die durch
Wollust gesündigt hatten. Auch die Unterschlagung der Buß-
forderung erklärt sich aus der Stimmung des Gegners, dem eben
die Aufnahme als solche ärgerlich erscheint und der nur eine lebens-
längliche Buße als wirkliche Buße ansieht.
Lehrreich ist aber auch sofort die erste, mit γάρ eingeleitete
Angabe Hippolyts. Wer zu einer andern Gemeinschaft gehört und
sündigt (εϊ τι άν άμάρτγ), dem wird die Sünde nicht angerechnet,
wenn er zur „Schule“ Kallists überläuft. Das gefällt natürlich,
und so sind viele, die ein beflecktes Gewissen hatten (συνείδησιν
1 Zu λέγειν in den Überschriften amtlicher Edikte vgl. etwa Hans
Niedermeyer, Über antike Protokolliteratur, 1918, 41.
 
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