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Hugo Koch:
Montanist petrinischer und römischer geworden sein solle, ist doch
sicher nicht anzunehmen1.
b) Von Cyprian glaube ich (Cyprian und der römische
Primat, 1910) gezeigt zu haben, daß er nie eine Frage des Glaubens
oder der Sitte durch ein römisches Urteil für endgültig entschieden
erachtete und mit seinem Widerstand gegen den römischen Bischof
Stephan nicht etwa früher geäußerten Anschauungen tatsächlich
untreu wurde, sondern im Gegenteil nur seine kirchlichen Grund-
sätze betätigte2. Auch Karl Adam, der sich (in der Theol. Quartal-
schrift, 1912, 99 — 120) alle Mühe gibt, aus Cyprians Erklärung von
Mt. 16, 18 eine gewisse mystisch-sakramentale Bedeutung Petri
für die Kircheneinheit herauszuarbeiten, kann nicht finden, daß
diese in einer wirksamen Einflußnahme des Apostels auf Herstel-
lung und Wahrung der Kircheneinheit bestünde. Und über Cyprians
Haltung im Ketzertaufstreit bemerkt N. Bonwetsch (Theol. Litbl.,
1915, 56) nicht mit Unrecht: „Die wirkliche Anschauung Cyprians
über die Stellung des römischen Bischofs zur Gesamtkirche zeigt
mit voller Deutlichkeit sein Verhalten im Ketzertaufstreit; denn
Handlungen reden immer am zuverlässigsten.“ In der Tat: wer
Cyprians Art aus seinen Schriften und Briefen kennen gelernt und
seine Nachgiebigkeit im Bußstreit beobachtet hat, wird sagen
müssen: der Mann war alles andere eher als ein eigensinniger
Kopf, und wenn er wirklich in der römischen Kirche den dogma-
tischen Mittelpunkt der Gesamtkirche und die entscheidende
rechtliche Behörde erblickt hätte, dann hätte er soviel Selbst-
1 Dieser Ansicht ist auch Karl Kästner in einem sonst nicht sehr
verständigen Artikel „Tertullian und die römische Primatfrage“ (Linzer theol.-
prakt. Quartalschrift, 1912, 77—83). S. 81: „Aus den Schriften in der kirch-
lichen Periode Tertullians läßt sich kein Zeugnis beibringen, daß der römische
Bischof den Felsen der Kirche und den Hort der obersten Schlüsselgewalt
repräsentiert. In seiner montanistischen Epoche legt unser Kirchenschrift-
steller jedenfalls eine Lanze für das Gegenteil ein.“ Ja, während Esser aus
dem montanistischen wie aus dem katholischen Tertullian Zeugnisse für den
römischen Primat zu gewinnen sucht, erklärt Kästner Cyprians Haltung und
Äußerungen im Ketzertaufstreit aus einer Ansteckung durch tertullianisches
„Gift“ und er stellt den episcopus catholicus von Karthago, dessen eigene
Schriften bald in die Nähe der heiligen Schrift rückten, geradezu als „Beispiel
für die Gefährlichkeit kirchenfeindlicher Schriften“ hin!
2 Auf den von Joh. Ernst (Cyprian und das Papsttum, 1912, 148ff.)
behaupteten „passiven Widerstand“ Cyprians gegen den römischen Bischof
Stephan werde ich bei nochmaliger Behandlung der Cyprianfrage zurück-
kommen.
Hugo Koch:
Montanist petrinischer und römischer geworden sein solle, ist doch
sicher nicht anzunehmen1.
b) Von Cyprian glaube ich (Cyprian und der römische
Primat, 1910) gezeigt zu haben, daß er nie eine Frage des Glaubens
oder der Sitte durch ein römisches Urteil für endgültig entschieden
erachtete und mit seinem Widerstand gegen den römischen Bischof
Stephan nicht etwa früher geäußerten Anschauungen tatsächlich
untreu wurde, sondern im Gegenteil nur seine kirchlichen Grund-
sätze betätigte2. Auch Karl Adam, der sich (in der Theol. Quartal-
schrift, 1912, 99 — 120) alle Mühe gibt, aus Cyprians Erklärung von
Mt. 16, 18 eine gewisse mystisch-sakramentale Bedeutung Petri
für die Kircheneinheit herauszuarbeiten, kann nicht finden, daß
diese in einer wirksamen Einflußnahme des Apostels auf Herstel-
lung und Wahrung der Kircheneinheit bestünde. Und über Cyprians
Haltung im Ketzertaufstreit bemerkt N. Bonwetsch (Theol. Litbl.,
1915, 56) nicht mit Unrecht: „Die wirkliche Anschauung Cyprians
über die Stellung des römischen Bischofs zur Gesamtkirche zeigt
mit voller Deutlichkeit sein Verhalten im Ketzertaufstreit; denn
Handlungen reden immer am zuverlässigsten.“ In der Tat: wer
Cyprians Art aus seinen Schriften und Briefen kennen gelernt und
seine Nachgiebigkeit im Bußstreit beobachtet hat, wird sagen
müssen: der Mann war alles andere eher als ein eigensinniger
Kopf, und wenn er wirklich in der römischen Kirche den dogma-
tischen Mittelpunkt der Gesamtkirche und die entscheidende
rechtliche Behörde erblickt hätte, dann hätte er soviel Selbst-
1 Dieser Ansicht ist auch Karl Kästner in einem sonst nicht sehr
verständigen Artikel „Tertullian und die römische Primatfrage“ (Linzer theol.-
prakt. Quartalschrift, 1912, 77—83). S. 81: „Aus den Schriften in der kirch-
lichen Periode Tertullians läßt sich kein Zeugnis beibringen, daß der römische
Bischof den Felsen der Kirche und den Hort der obersten Schlüsselgewalt
repräsentiert. In seiner montanistischen Epoche legt unser Kirchenschrift-
steller jedenfalls eine Lanze für das Gegenteil ein.“ Ja, während Esser aus
dem montanistischen wie aus dem katholischen Tertullian Zeugnisse für den
römischen Primat zu gewinnen sucht, erklärt Kästner Cyprians Haltung und
Äußerungen im Ketzertaufstreit aus einer Ansteckung durch tertullianisches
„Gift“ und er stellt den episcopus catholicus von Karthago, dessen eigene
Schriften bald in die Nähe der heiligen Schrift rückten, geradezu als „Beispiel
für die Gefährlichkeit kirchenfeindlicher Schriften“ hin!
2 Auf den von Joh. Ernst (Cyprian und das Papsttum, 1912, 148ff.)
behaupteten „passiven Widerstand“ Cyprians gegen den römischen Bischof
Stephan werde ich bei nochmaliger Behandlung der Cyprianfrage zurück-
kommen.