Metadaten

Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0034
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
34

A. Warburg:

dem leisesten Versuch, in den Gestalten Raphaels nur noch eine
Spur realer heidnischer Göttlichkeit zu suchen, wohl als einer
antiquarischen philologischen Abwegigkeit verständnislos gegen-
überstehen würde; er sollte sich aber erinnern, daß ihn ein Schritt
in jenen Nebensaal der Farnesina führt, wo Agostino Chigi zu
gleicher Zeit als Gegenstück die ganze Decke von Peruzzi mit
heidnischen Gestirngottheiten bemalen ließ, Planeten und Fix-
sternen, in verschiedenen Stellungen zueinander, die nicht etwa
künstlerisch bedingt sind; sie sollen den Stand der Gestirne am Ge-
burtstage Chigis verkünden, der sich unter dem Schutze seines günsti-
genHoroskopes, das ihm — betrügerisch — ein langes Leben verhieß,
auch in den Stunden seiner ländlichen Erholung wissen wollte.
Und noch über seinen Tod hinaus ist Agostino ein Mäzenas astro-
logischer Kunst geblieben; aus der lichten Kuppel, die sein Grab
in S. Maria del Popolo überwölbt, schauen ja, nach einem Entwurf
Raphaels, heute noch die sieben antiken Planetengötter herab,
deren heidnisches Temperament freilich gebändigt wird durch
christliche Erzengel, die ihnen unter der Oberleitung Gottvaters-
zur Seite gestellt sind.
Die formale Schönheit der Göttergestalten und der geschmack-
volle Ausgleich zwischen christlichem und heidnischem Glauben
darf uns eben doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß selbst in
Italien etwa 1520, also zur Zeit des freiesten, schöpferischsten
Künstlertums die Antike gleichsam in einer Doppelherme verehrt
wurde, die ein dämonisch-finsteres Antlitz trug, das abergläubi-
schen Kult erheischte, und ein olympisch-heiteres, das ästhetische
Verehrung forderte.
Luther und die Lehre von den Konjunktionen: Die Sünd-
flutpanik von 1524. — Luther und Johann Lichten-
bergers Weissagung auf den ,,kleinen Propheten1' für die
Konjunktion von 1484.
Luther hat diese Sündflutpanik seelisch mit durchlebt. Seine
Stellung war unbedingt ablehnend, soweit wissenschaftliche Astro-
logie in Retracht kam. Aus späteren Jahren besitzen wir darüber
eine humorvolle, sehr abfällige Äußerung61: D.M. L. sagte von der
Narrheit der Mathematicorum und Astrologorum, der Stern-
kücker, „die von einer Sünclfluth oder großem Gewässer hätten

61 Erlanger Ausg. Bd. 62, S. 327.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften