Studien zur Spätscholastik. I.
auf, die zur Feststellung des rein mathematischen Charakters des
Punktes, der Linie usw. führen1. Damit war aber noch nichts
gesagt über die Realität einer unendlich fortgesetzten Teilung.
Marsilius leugnet sie, wenigstens im „uneingeschränkten“ Sinne,
weil eine solche Teilung niemals zu Ende kommt2, im Gegensatz zu
Gregor von Rimini3, der diese logische Schwierigkeit beseitigt.
Aber er kennt auch ein praktisches Hindernis der Teilung. Eine von
Egidius Romanus und Johann von Jandun4 stammende Tradition
behauptete die Notwendigkeit eines Existenzminimums zwar nicht
der (ungestalteten) materia prima, wohl aber der (gestalteten)
materia sensibilis, dessen weitere Teilung bei Trennung der ein-
zelnen Teile zur Zerstörung der Form und zur Umwandlung in
eine andere species führen müsse. Albert von Sachsen erkannte
dieses Minimum an, wenn auch nicht absolut, so doch in seiner
Größe bestimmt durch Umstände und Einwirkung der Umgebung
auf die betreffende Substanz. In der mir unbekannten ausführlichen
Physik übernimmt Marsilius (nach Duhem)5 diese Fassung der
Tradition; in dem „Abriß“ läßt er das Minimum gelten für „hetero-
gene“ Dinge; für „homogene“ dagegen kennt er keine Grenze der
Teilbarkeit6. Das wäre also eine neue Wendung des Gedankens,
keineswegs eine einfache Leugnung des Existenzminimums, wie
Duhem will7. Noch einen weiteren, eigenartigen Beweis gegen die
1 abbrev. phys. 1. VI, Druck nr. 13, Bl. 5U ff. Ibid. 53, a: Nulla puncta
inclwisibilia sunt in linea vel in continuo — non est nunc indivisibile in tempore—
non sunt linee indivisibiles secundum latitudinem, nee superficies indivisibiles
secundum profunditatem. Nach Duhem II, 9 ähnliche Argumentation im
großen Physikkommentar (Druck nr. 11) 1. VI, qu. 1. Eine eindeutige Be-
stimmung des Punktes usw. als mathematische Hilfsvorstellung, wie bei
Gregor von Rimini, ist in den abbrev. phys. nicht zu finden.
2 Druck nr. 13, Bl. 54, b, prop. 5: Non potest continuum esse in infinitum
divisum. Diese Leugnung gilt aber nur im „kategoreumatischen“ Sinne;
synkategoreumatice ist die unendliche Teilung, wie das Unendliche überhaupt,
recht wohl möglich. Darüber s. sogleich unten!
3 Duhem II, 389.
4 M. v. I. besaß mehrere logische und naturphilos. Schriften des Joh.
v. Jandun und Egidius. Toepke I, 682/3: nr. 518, 519, 530, 542, 543, 544,
549, 594. Egidius wird öfter von ihm zitiert.
5 1. c. II, 15.
6 In rebus heterogeneis est dare minimam materiam, ex qua forma potest
produci quo ad esse —. Ex infinite modica (= parva) materia potest forma
rei homogenee produci. Druck nr. 13, Bl. 6, c.
7 1. c. II, 16.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1921. 4. Abh.
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auf, die zur Feststellung des rein mathematischen Charakters des
Punktes, der Linie usw. führen1. Damit war aber noch nichts
gesagt über die Realität einer unendlich fortgesetzten Teilung.
Marsilius leugnet sie, wenigstens im „uneingeschränkten“ Sinne,
weil eine solche Teilung niemals zu Ende kommt2, im Gegensatz zu
Gregor von Rimini3, der diese logische Schwierigkeit beseitigt.
Aber er kennt auch ein praktisches Hindernis der Teilung. Eine von
Egidius Romanus und Johann von Jandun4 stammende Tradition
behauptete die Notwendigkeit eines Existenzminimums zwar nicht
der (ungestalteten) materia prima, wohl aber der (gestalteten)
materia sensibilis, dessen weitere Teilung bei Trennung der ein-
zelnen Teile zur Zerstörung der Form und zur Umwandlung in
eine andere species führen müsse. Albert von Sachsen erkannte
dieses Minimum an, wenn auch nicht absolut, so doch in seiner
Größe bestimmt durch Umstände und Einwirkung der Umgebung
auf die betreffende Substanz. In der mir unbekannten ausführlichen
Physik übernimmt Marsilius (nach Duhem)5 diese Fassung der
Tradition; in dem „Abriß“ läßt er das Minimum gelten für „hetero-
gene“ Dinge; für „homogene“ dagegen kennt er keine Grenze der
Teilbarkeit6. Das wäre also eine neue Wendung des Gedankens,
keineswegs eine einfache Leugnung des Existenzminimums, wie
Duhem will7. Noch einen weiteren, eigenartigen Beweis gegen die
1 abbrev. phys. 1. VI, Druck nr. 13, Bl. 5U ff. Ibid. 53, a: Nulla puncta
inclwisibilia sunt in linea vel in continuo — non est nunc indivisibile in tempore—
non sunt linee indivisibiles secundum latitudinem, nee superficies indivisibiles
secundum profunditatem. Nach Duhem II, 9 ähnliche Argumentation im
großen Physikkommentar (Druck nr. 11) 1. VI, qu. 1. Eine eindeutige Be-
stimmung des Punktes usw. als mathematische Hilfsvorstellung, wie bei
Gregor von Rimini, ist in den abbrev. phys. nicht zu finden.
2 Druck nr. 13, Bl. 54, b, prop. 5: Non potest continuum esse in infinitum
divisum. Diese Leugnung gilt aber nur im „kategoreumatischen“ Sinne;
synkategoreumatice ist die unendliche Teilung, wie das Unendliche überhaupt,
recht wohl möglich. Darüber s. sogleich unten!
3 Duhem II, 389.
4 M. v. I. besaß mehrere logische und naturphilos. Schriften des Joh.
v. Jandun und Egidius. Toepke I, 682/3: nr. 518, 519, 530, 542, 543, 544,
549, 594. Egidius wird öfter von ihm zitiert.
5 1. c. II, 15.
6 In rebus heterogeneis est dare minimam materiam, ex qua forma potest
produci quo ad esse —. Ex infinite modica (= parva) materia potest forma
rei homogenee produci. Druck nr. 13, Bl. 6, c.
7 1. c. II, 16.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1921. 4. Abh.
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