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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0087
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Studien zur Spätscholastik. I.

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Sprüche, die hier innerhalb des Unendlichkeitsbegriffes aufgedeckt
werden, finden sich schon in dem alten Sophisma Zenons von
Achilles und der Schildkröte, das in veränderter Form auch von
Marsilius aufgewärmt wird1. Im Sentenzenkommentar erhält die
Betrachtung noch eine theologische Wendung: Die Schöpfung
eines Unendlichen ist u. a. auch darum undenkbar, weil damit
Gott eine sich selbst gleichwertige Wesenheit aus sich heraussetzen
würde2. Im physikalischen Abriß werden auch die Zahlen in paral-
leler Betrachtung untersucht, deren Fähigkeit zu unendlicher Ver-
vielfachung mit aristotelischen Gründen auf den bloß intellektiven
Charakter der Tätigkeit des Zählens zurückzuführen sei3. Und
anschließend erfährt die aristotelische Behauptung von der unend-
lichen Dauer der Zeit und der Weltbewegung eine sehr eingehende
Untersuchung: Die Ewigkeit der göttlichen Macht wird danach
als rationabiliter beweisbar angenommen, die Unendlichkeit der
Weltbewegung dagegen im Interesse des Glaubens verworfen, ob-
schon sie Aristoteles mit natürlichen Vernunftgründen bewiesen
hat und obschon sie im ,,synkategoreumatischen“ Sinne besteht,
d. h. obschon es wahr ist, daß ,,zu aller Zeit“ Bewegung war und sein
wird, ohne daß damit über die Dauer dieser Zeit etwns ausgesagt ist4.
Das Wesentliche aus alledem ist für uns die eindeutige Fest-
stellung, daß Marsilius ebenso wie Buridan und Albert von Sachsen
die Argumente Gregors ablehnt, mit deren Hilfe die inneren Wider-
sprüche des Unendlichkeitsbegriffs zugunsten der göttlichen All-
macht beseitigt werden sollten. Wie seine Pariser Lehrer und
Kollegen zeigt er sich demnach stärker in der aristotelischen Begriffs-
welt befangen, als der Augustiner-Theologe. Dagegen ist es un-
richtig, daß er die Argumentation Alberts von Sachsen durch
1 lib. sent. 1. c., Bl. 182v, concl. 15. 2 1. c. Bl. 180, d.
3 abbrev. phys., 1. c. Bl. 25, c: Philosophus voluit omni numero dato
posse dare maiorem ad illum intellectum, quod inter quot veritates anima est
discretiva, adhuc inter plures potest esse discretiva.
4 abbrev. phys. Bl. 68, d: Quoad experientias videtur semper fuisse
motum — — tarnen secundum veritatem motus incepit. Bl. 69 bezüglich der-
selben Sache: Quamvis conformiter apparentiis hae rationes et conclusiones
procedant, tarnen false sunt simpliciter — — hoc enirn ponit facta fides ex rece-
latione s. spiritus. Bl. 69, d: In infinito sive perpetuo tempore potest esse motus,
tenendo infinitum syncathegoreumatice. — Prout hoc adverbium ,,semper“
precise tanturn [capitur], videlicet sic ut: „omni tempore“, tuncsem per fuit motus,
similiter semper est et erit motus. — Untersuchungen über das Verhältnis von
Ewigkeit und Zeit auch lib. sent. II, qu. 1, art. 1.
 
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