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Gerhard Ritter:
vier Formen, das Maß einer bestimmten Kraft durch Vergleich
mit dem von ihr überwundenen Widerstand genau zu bestimmen:
entweder man erfaßt das maximum des eben noch überwindbaren
Widerstandes (maximum in quod sic), oder das minimum der zu
Überwindung noch ausreichenden Kraft (minimum in quod sic),
oder das maximum der zur Überwindung eben nicht mehr aus-
reichenden Kraft (maximum in quod non), oder endlich das minimum
des nicht mehr überwindbaren Widerstandes (minimum in quod
non). Schon Johann von Jandun hatte erkannt, daß diese Be-
stimmungen nicht alle nebeneinander gelten können. Das Maximum
des noch überwindbaren und das Minimum des nicht mehr über-
windbaren Widerstandes decken sich nicht, da bei aktueller Kon-
kurrenz so bestimmter Kräfte bezw. Gegenwirkungen im ersten
Falle eine Bewegung erfolgt, im letzten Falle Kraft und Gegen-
kraft sich lähmen; die Bestimmung der Differenz führt aber in
unüberwindliche logische Schwierigkeiten, da diese nur als unteilbar
klein gedacht werden kann, das unendlich Kleine (indwisibile) aber,
wie früher dargelegt, aus den physikalischen Begriffen auszuschal-
ten ist. Eine scharfsinnige Überlegung führte deshalb Albert zu
der — modernen physikalischen Anschauungen entsprechenden —
Erkenntnis, daß zur Bestimmung des genauen Kraftmaßes nur die
beiden letzten unter den vier genannten Formen sich eignen: nur
sie erfassen das Kräfteverhältnis in dem Augenblick, in dem Kraft
und Widerstand sich absolut gleich sind, d. h. sich gegenseitig
lähmen. Es ist sonderbar, daß der ausführliche Physikkommentar
des Marsilius auch diese Theorie verwässert hat und zwar durch
synkretistische Nebeneinanderstellung aller 4 modi1. In der son-
stigen Überlieferung erscheint unser Autor deutlicher als Schüler
Alberts. Die knappen Sätze des „Abrisses“ gestatten allerdings
kein sicheres Urteil; hier werden nur die 4 modi ohne irgend einen
bestimmenden Zusatz aufgeführt; die Formulierung im einzelnen
weicht bewußt von Albert ab2. Dagegen läßt die Schrift über
1 Duhem II, 30.
2 Er formuliert: abbrev. phys. 1. c. Bl. 6, a: maximum in quod polest -
in hoc potest et in nullum maius potest; minimum in quod potest = in hoc
potest et in nullum minus potest: maximum in quod non potest; = in hoc
potest, et in quodlihet maius potest; minimum in quod non potest = in hoc non
potest, et in quodlibet minus potest. Für die beiden letzten Formen führt er auch
die Formulierung an: quolibet maiore dato datur minus, in quod potest bzw.
quolibet minori dato datur maius, in quod potest. Eben das war die Formu-
lierung Alberts; M v. I. lehnt sie ab: In his ultimis duobus primi duo modi
Gerhard Ritter:
vier Formen, das Maß einer bestimmten Kraft durch Vergleich
mit dem von ihr überwundenen Widerstand genau zu bestimmen:
entweder man erfaßt das maximum des eben noch überwindbaren
Widerstandes (maximum in quod sic), oder das minimum der zu
Überwindung noch ausreichenden Kraft (minimum in quod sic),
oder das maximum der zur Überwindung eben nicht mehr aus-
reichenden Kraft (maximum in quod non), oder endlich das minimum
des nicht mehr überwindbaren Widerstandes (minimum in quod
non). Schon Johann von Jandun hatte erkannt, daß diese Be-
stimmungen nicht alle nebeneinander gelten können. Das Maximum
des noch überwindbaren und das Minimum des nicht mehr über-
windbaren Widerstandes decken sich nicht, da bei aktueller Kon-
kurrenz so bestimmter Kräfte bezw. Gegenwirkungen im ersten
Falle eine Bewegung erfolgt, im letzten Falle Kraft und Gegen-
kraft sich lähmen; die Bestimmung der Differenz führt aber in
unüberwindliche logische Schwierigkeiten, da diese nur als unteilbar
klein gedacht werden kann, das unendlich Kleine (indwisibile) aber,
wie früher dargelegt, aus den physikalischen Begriffen auszuschal-
ten ist. Eine scharfsinnige Überlegung führte deshalb Albert zu
der — modernen physikalischen Anschauungen entsprechenden —
Erkenntnis, daß zur Bestimmung des genauen Kraftmaßes nur die
beiden letzten unter den vier genannten Formen sich eignen: nur
sie erfassen das Kräfteverhältnis in dem Augenblick, in dem Kraft
und Widerstand sich absolut gleich sind, d. h. sich gegenseitig
lähmen. Es ist sonderbar, daß der ausführliche Physikkommentar
des Marsilius auch diese Theorie verwässert hat und zwar durch
synkretistische Nebeneinanderstellung aller 4 modi1. In der son-
stigen Überlieferung erscheint unser Autor deutlicher als Schüler
Alberts. Die knappen Sätze des „Abrisses“ gestatten allerdings
kein sicheres Urteil; hier werden nur die 4 modi ohne irgend einen
bestimmenden Zusatz aufgeführt; die Formulierung im einzelnen
weicht bewußt von Albert ab2. Dagegen läßt die Schrift über
1 Duhem II, 30.
2 Er formuliert: abbrev. phys. 1. c. Bl. 6, a: maximum in quod polest -
in hoc potest et in nullum maius potest; minimum in quod potest = in hoc
potest et in nullum minus potest: maximum in quod non potest; = in hoc
potest, et in quodlihet maius potest; minimum in quod non potest = in hoc non
potest, et in quodlibet minus potest. Für die beiden letzten Formen führt er auch
die Formulierung an: quolibet maiore dato datur minus, in quod potest bzw.
quolibet minori dato datur maius, in quod potest. Eben das war die Formu-
lierung Alberts; M v. I. lehnt sie ab: In his ultimis duobus primi duo modi