Studien zur Spätscholastik. I.
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Offenbarung nicht aus eigener Kraft, sondern nimmt sie als ein
Geschenk von oben entgegen. Die Unzulänglichkeit des mensch-
lichen Vermögens kommt kräftig zum Ausdruck. Der Intellek-
tualismus der durch Thomas inaugurierten Theologie war Schuld,
wenn der Vorgang der Eingießung in zunehmendem Maße von den
affektiven menschlichen Seelenkräften abgetrennt und auf den
Verstand beschränkt'wurde. Man begreift, daß der ,,fromme Ratio-
nalismus“ des Thomas auf die supranaturale Ergänzung der natür-
lichen Erkenntnis stärkeres Gewicht legte, als auf die Mitwirkung
des Willens bei diesem Vorgang; daß aber auch Duns Skotus und
Okkam, denen die Superiorität des Willens über den Verstand so
sicher feststand, derselben Einseitigkeit verfielen, zeigt deutlicher
als irgend etwas anderes, wie stark diese Theologie trotz ihrer
kritischen Haltung innerlich noch immer an die scholastische Ver-
mischung von Glauben und Wissen gebunden war. Auch Okkam
dachte nicht an eine Trennung der beiden Gebiete im Sinne der
doppelten Wahrheit oder gar der theoretischen und praktischen
Vernunft: die religiöse Erkenntnis hatte ihre Quelle außerhalb
des natürlichen Intellekts; aber darum verzichtete sie so wenig
auf verstandesmäßiges Wissen, daß ihre ratio vielmehr die natür-
liche Vernunft ohne weiteres verschlingen konnte.
Nun ist freilich der eingegossene Glaube in seiner vollkommen-
sten Gestalt, als fides formata, stets mit einer supranaturalen Ge-
staltung des Willens, der charitas infusa, verbunden1. Diese ist in
„attributivem Sinne“ seine Form; zwar nicht so, wie etwa die
Seele dem Körper als ihrem Subjekt inhäriert, aber doch im Sinne
einer gewissen inneren Zusammengehörigkeit; der rechte Glaube
ist ohne charitative Werke ebensowenig denkbar, wie ohne dilectio
dei2. Aber im Grunde bleibt dieses Nebeneinander doch recht
äußerlich. Das zeigt sogleich die (herkömmliche) Unterscheidung
der fides [infusa] informis von der fides formata. Ein Gläubiger
kann z. B. in Todsünde fallen, und dadurch die charitas verlieren,
darum behält er doch den „eingegossenen Glauben“ als fides
informis, d. h. seine richtige religiöse Erkenntnis wird dadurch
nicht geändert3; diese besitzt sogar ein gewisses, wenn auch nicht
zureichendes Verdienst4. Man sieht: der Gedanke, daß die Sünde
1 ibid. art. 1, pars 2, concl. 3.
2 ibid. art. 1, pars 3, dubium 2, concl. 1 — 2, Bl. 450 v. — lib. I, qu. 3,
art. 5, concl. 5, prob. 4, Bl. 26 v.
3 ibid art. 1, pars 1, not. 2; pars 3, dub. 3, concl. 1, Bl. 451.
4 ibid. art. 1, pars 2, concl. 2.
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Offenbarung nicht aus eigener Kraft, sondern nimmt sie als ein
Geschenk von oben entgegen. Die Unzulänglichkeit des mensch-
lichen Vermögens kommt kräftig zum Ausdruck. Der Intellek-
tualismus der durch Thomas inaugurierten Theologie war Schuld,
wenn der Vorgang der Eingießung in zunehmendem Maße von den
affektiven menschlichen Seelenkräften abgetrennt und auf den
Verstand beschränkt'wurde. Man begreift, daß der ,,fromme Ratio-
nalismus“ des Thomas auf die supranaturale Ergänzung der natür-
lichen Erkenntnis stärkeres Gewicht legte, als auf die Mitwirkung
des Willens bei diesem Vorgang; daß aber auch Duns Skotus und
Okkam, denen die Superiorität des Willens über den Verstand so
sicher feststand, derselben Einseitigkeit verfielen, zeigt deutlicher
als irgend etwas anderes, wie stark diese Theologie trotz ihrer
kritischen Haltung innerlich noch immer an die scholastische Ver-
mischung von Glauben und Wissen gebunden war. Auch Okkam
dachte nicht an eine Trennung der beiden Gebiete im Sinne der
doppelten Wahrheit oder gar der theoretischen und praktischen
Vernunft: die religiöse Erkenntnis hatte ihre Quelle außerhalb
des natürlichen Intellekts; aber darum verzichtete sie so wenig
auf verstandesmäßiges Wissen, daß ihre ratio vielmehr die natür-
liche Vernunft ohne weiteres verschlingen konnte.
Nun ist freilich der eingegossene Glaube in seiner vollkommen-
sten Gestalt, als fides formata, stets mit einer supranaturalen Ge-
staltung des Willens, der charitas infusa, verbunden1. Diese ist in
„attributivem Sinne“ seine Form; zwar nicht so, wie etwa die
Seele dem Körper als ihrem Subjekt inhäriert, aber doch im Sinne
einer gewissen inneren Zusammengehörigkeit; der rechte Glaube
ist ohne charitative Werke ebensowenig denkbar, wie ohne dilectio
dei2. Aber im Grunde bleibt dieses Nebeneinander doch recht
äußerlich. Das zeigt sogleich die (herkömmliche) Unterscheidung
der fides [infusa] informis von der fides formata. Ein Gläubiger
kann z. B. in Todsünde fallen, und dadurch die charitas verlieren,
darum behält er doch den „eingegossenen Glauben“ als fides
informis, d. h. seine richtige religiöse Erkenntnis wird dadurch
nicht geändert3; diese besitzt sogar ein gewisses, wenn auch nicht
zureichendes Verdienst4. Man sieht: der Gedanke, daß die Sünde
1 ibid. art. 1, pars 2, concl. 3.
2 ibid. art. 1, pars 3, dubium 2, concl. 1 — 2, Bl. 450 v. — lib. I, qu. 3,
art. 5, concl. 5, prob. 4, Bl. 26 v.
3 ibid art. 1, pars 1, not. 2; pars 3, dub. 3, concl. 1, Bl. 451.
4 ibid. art. 1, pars 2, concl. 2.