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Gerhard Ritter:
ausschließlich die Freiheit des sittlichen Handelns steht noch in
Frage und wird einleuchtend erklärt. Auch der Rest von dog-
matischer Befangenheit, in dem Buridan das „schlechthin Gute“
für ein zwingendes Motiv erklärt hatte1, ist hier überwunden. Zu-
gleich ist das psychologische Verhältnis von Wille und Verstand
jetzt in weitem Maße aufgeklärt: wie derWille von den dargebotenen
Vorstellungen, so ist der Intellekt von den ablehnenden oder
annehmenden Entscheidungen des Willens abhängig. Es ist ein
vollkommenes Wechselverhältnis, ein Zusammenwirken an dem
Hervorbringen einer jeden einzelnen Handlung. Soll die Frage
nach dem Primat überhaupt noch einen Sinn behalten, so kann
ihre Lösung allein im Metaphysischen gesucht werden. Es handelt
sich jetzt nicht mehr darum, ob eines der beiden Vermögen vom
andern abhängt, sondern um die Frage, welches von beiden die
metaphysisch betrachtet — wertvollere Aufgabe zu erfüllen
hat und darum im Range höher zu achten ist. Daneben allerdings
läuft nun doch wieder eine halb metaphysische, halb psycholo-
gische Betrachtung, die ermitteln soll, ob Wille oder Verstand
mit besserem Rechte als „frei“ bezeichnet werden kann, um daraus
das Rangverhältnis abzuleiten.
Diese zweite Betrachtung stützt sich auf eine wichtige Unter-
scheidung im Begriff der Freiheit. Es gibt die Freiheit, das eine
oder das andere zu wollen (libertas oppositionis) und die Freiheit
der selbständigen Zielsetzung (libertas finalis ordinationis). Jene
ist die Freiheit des Entschlusses im psychologischen Sinne, die wir
schon kennen; sie besteht in der Möglichkeit, das dargebotene
Objekt anzunehmen oder die Entscheidung zu neuer Überlegung
hinauszuschieben und kommt praktisch nur als Freiheit des sitt-
lichen Entschlusses zur Geltung. Die libertas finalis ordinationis
dagegen, die von Siebeck als „Freiheit des durch den Zweck-
gedanken geleiteten Handelns“ aufgefaßt, mit dem herbartischen
Begriff der inneren Freiheit in nahe Beziehung gebracht und als
glänzendste Leistung der nominalistischen Ethik gepriesen wurde2,
1 Siebeck 1. c. 203.
2 1. c. 216, 207 ii. 205. Die Ausführungen p. 207 (hes. Anm. 4) über
das Verhältnis der beiden Freiheitsbegriffe zueinander sind durchaus schief,
wie sich aus meiner Darstellung ergibt. In flüchtiger Lektüre des Textes hat
S. Anm. 3 als age?is superius[voluntate] libere concurrens den Intellekt gesetzt,
wo M. v. I. ganz deutlich Gott meint! Daraus entsteht natürlich ein arges
Mißverständnis der Sache
Gerhard Ritter:
ausschließlich die Freiheit des sittlichen Handelns steht noch in
Frage und wird einleuchtend erklärt. Auch der Rest von dog-
matischer Befangenheit, in dem Buridan das „schlechthin Gute“
für ein zwingendes Motiv erklärt hatte1, ist hier überwunden. Zu-
gleich ist das psychologische Verhältnis von Wille und Verstand
jetzt in weitem Maße aufgeklärt: wie derWille von den dargebotenen
Vorstellungen, so ist der Intellekt von den ablehnenden oder
annehmenden Entscheidungen des Willens abhängig. Es ist ein
vollkommenes Wechselverhältnis, ein Zusammenwirken an dem
Hervorbringen einer jeden einzelnen Handlung. Soll die Frage
nach dem Primat überhaupt noch einen Sinn behalten, so kann
ihre Lösung allein im Metaphysischen gesucht werden. Es handelt
sich jetzt nicht mehr darum, ob eines der beiden Vermögen vom
andern abhängt, sondern um die Frage, welches von beiden die
metaphysisch betrachtet — wertvollere Aufgabe zu erfüllen
hat und darum im Range höher zu achten ist. Daneben allerdings
läuft nun doch wieder eine halb metaphysische, halb psycholo-
gische Betrachtung, die ermitteln soll, ob Wille oder Verstand
mit besserem Rechte als „frei“ bezeichnet werden kann, um daraus
das Rangverhältnis abzuleiten.
Diese zweite Betrachtung stützt sich auf eine wichtige Unter-
scheidung im Begriff der Freiheit. Es gibt die Freiheit, das eine
oder das andere zu wollen (libertas oppositionis) und die Freiheit
der selbständigen Zielsetzung (libertas finalis ordinationis). Jene
ist die Freiheit des Entschlusses im psychologischen Sinne, die wir
schon kennen; sie besteht in der Möglichkeit, das dargebotene
Objekt anzunehmen oder die Entscheidung zu neuer Überlegung
hinauszuschieben und kommt praktisch nur als Freiheit des sitt-
lichen Entschlusses zur Geltung. Die libertas finalis ordinationis
dagegen, die von Siebeck als „Freiheit des durch den Zweck-
gedanken geleiteten Handelns“ aufgefaßt, mit dem herbartischen
Begriff der inneren Freiheit in nahe Beziehung gebracht und als
glänzendste Leistung der nominalistischen Ethik gepriesen wurde2,
1 Siebeck 1. c. 203.
2 1. c. 216, 207 ii. 205. Die Ausführungen p. 207 (hes. Anm. 4) über
das Verhältnis der beiden Freiheitsbegriffe zueinander sind durchaus schief,
wie sich aus meiner Darstellung ergibt. In flüchtiger Lektüre des Textes hat
S. Anm. 3 als age?is superius[voluntate] libere concurrens den Intellekt gesetzt,
wo M. v. I. ganz deutlich Gott meint! Daraus entsteht natürlich ein arges
Mißverständnis der Sache