Studien zur Spätscholastik. I.
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abgelehnt1. Andererseits wird aus der Definition des Verdienstes
konsequent gefolgert, daß die mit Hilfe der gratia gratis data zu-
stande gekommenen Werke ein Verdienst de congrao besitzen
müssen2: wie sollte Gottes Mitwirkung anders zu werten sein ?
Gottes Barmherzigkeit läßt es als angemessen erscheinen, daß er
dem verlorenen Sohne, der seiner Lockung folgend dem Vater-
hause mit allen Kräften zustrebt, seine Gnade nicht verschließt.
Gewiß: auch jetzt noch ist die Sünde des Verlorenen größer als
seine sittliche Leistung. Aber wir dürfen hoffen, daß Gott aus
Gnaden darüber hinwegsehen wird. Mit dem eindrucksvollen tradi-
tionellen Bilde: der in den Abgrund des Verderbens Gestürzte müht
sich aus allen Kräften, wieder ans Licht emporzuklimmen, und der
Better hilft ihm mit starkem Arme; gewiß ist das Schwergewicht
des Elenden, das ihn immer wieder in die Tiefe niederreißt, stärker
als alle seine Anstrengungen. Aber wenn er sich nur redlich müht,
sollte ihm darum die Hilfe versagt bleiben3 ? Man empfindet ohne
weiteres, wie viel näher diese Lehre bereits den ursprünglichen Ideen
neutestamentlicher Frömmigkeit steht, nach denen der verzwei-
felnde Mönch in der Erfurter Klosterzelle die Hände ausstreckte,
als die religiöse Flachheit des okkamistischen Voluntarismus. Die
Theologie der alten, vorskotistischen Franziskanerschule ist auch
an diesem Punkte wieder lebendig geworden. Von pelagianischen
Vorstellungen kann im Ernste nicht mehr die Bede sein.
Das wird vollends deutlich in der Betrachtung des neuen, sitt-
lichen Lebens, das die gratia gratum faciens begründet. Die älteren
Franziskaner wollten dem Wiedergeborenen wirklich zureichende
Verdienste (de condigno) zusprechen, mit denen er sich eine Art
Anspruch auf den Himmel erwerben könne; nach Austreibung der
alten Erbschuld im Sakrament sollte ein heiliges Leben im eigent-
lichen Sinne möglich sein. Die kirchengeschichtlichen Folgen dieser
Lehre sind bekannt genug. Marsilius lehnt diese Vorstellung a limine
ab4. Wie sollte Gott in irgend einer Weise zu irgend etwas ver-
pflichtet sein auf Grund einer Handlung seines Geschöpfes ? Das
1 Es versteht sich, daß auch die Möglichkeit verschwindet, die attritio
oder gar contritio aus natürlichen Kräften zu erwerben. Erstere setzt die
gratia gratuita, letztere den Besitz der rechtfertigenden Gnade voraus. 1. IV,
qu. 10, a. 1, Bl. 558, a.
2 1. II, qu. 18, a. 3, concl. 2 u. 4. Bl. 299, c u. 300, a.
3 ibid. Bl. 300, b.
J 1. II, qu. 18, a. 4, concl. 1, Bl. 300, c: De condigno nullus potest mereri
eliam per quantamcumque gratiam gloriam.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1921. 4. Abh.
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abgelehnt1. Andererseits wird aus der Definition des Verdienstes
konsequent gefolgert, daß die mit Hilfe der gratia gratis data zu-
stande gekommenen Werke ein Verdienst de congrao besitzen
müssen2: wie sollte Gottes Mitwirkung anders zu werten sein ?
Gottes Barmherzigkeit läßt es als angemessen erscheinen, daß er
dem verlorenen Sohne, der seiner Lockung folgend dem Vater-
hause mit allen Kräften zustrebt, seine Gnade nicht verschließt.
Gewiß: auch jetzt noch ist die Sünde des Verlorenen größer als
seine sittliche Leistung. Aber wir dürfen hoffen, daß Gott aus
Gnaden darüber hinwegsehen wird. Mit dem eindrucksvollen tradi-
tionellen Bilde: der in den Abgrund des Verderbens Gestürzte müht
sich aus allen Kräften, wieder ans Licht emporzuklimmen, und der
Better hilft ihm mit starkem Arme; gewiß ist das Schwergewicht
des Elenden, das ihn immer wieder in die Tiefe niederreißt, stärker
als alle seine Anstrengungen. Aber wenn er sich nur redlich müht,
sollte ihm darum die Hilfe versagt bleiben3 ? Man empfindet ohne
weiteres, wie viel näher diese Lehre bereits den ursprünglichen Ideen
neutestamentlicher Frömmigkeit steht, nach denen der verzwei-
felnde Mönch in der Erfurter Klosterzelle die Hände ausstreckte,
als die religiöse Flachheit des okkamistischen Voluntarismus. Die
Theologie der alten, vorskotistischen Franziskanerschule ist auch
an diesem Punkte wieder lebendig geworden. Von pelagianischen
Vorstellungen kann im Ernste nicht mehr die Bede sein.
Das wird vollends deutlich in der Betrachtung des neuen, sitt-
lichen Lebens, das die gratia gratum faciens begründet. Die älteren
Franziskaner wollten dem Wiedergeborenen wirklich zureichende
Verdienste (de condigno) zusprechen, mit denen er sich eine Art
Anspruch auf den Himmel erwerben könne; nach Austreibung der
alten Erbschuld im Sakrament sollte ein heiliges Leben im eigent-
lichen Sinne möglich sein. Die kirchengeschichtlichen Folgen dieser
Lehre sind bekannt genug. Marsilius lehnt diese Vorstellung a limine
ab4. Wie sollte Gott in irgend einer Weise zu irgend etwas ver-
pflichtet sein auf Grund einer Handlung seines Geschöpfes ? Das
1 Es versteht sich, daß auch die Möglichkeit verschwindet, die attritio
oder gar contritio aus natürlichen Kräften zu erwerben. Erstere setzt die
gratia gratuita, letztere den Besitz der rechtfertigenden Gnade voraus. 1. IV,
qu. 10, a. 1, Bl. 558, a.
2 1. II, qu. 18, a. 3, concl. 2 u. 4. Bl. 299, c u. 300, a.
3 ibid. Bl. 300, b.
J 1. II, qu. 18, a. 4, concl. 1, Bl. 300, c: De condigno nullus potest mereri
eliam per quantamcumque gratiam gloriam.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1921. 4. Abh.