Bismarcks großdeutsche Rundfahrt vom Jahre 1892.
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der Audienz fordernden Brief bereits geschrieben, der in der Nacht
vom 13. zum 14. nach Wien durch Kurier ging, und am Abend des
14. durch Prinz Reuß an die Wiener amtliche Stelle und durch
diese an Franz Josef gereicht wurde: datiert ist er in der Wiener
Publikation und im Original des Antwortschreibens vom 12. 6. Wer
hiebei des Kaisers Berater war — läßt die folgende Stelle aus dem
vertraulichen Brief des Grafen Eulenburg an Frhr. v. Marschall vom
14. 6. (Nr. 47J) aus München vermuten: ,,Da ich in der Lage war,
dem Herrn Minister den Standpunkt Seiner Maj estät in der sogenann-
ten ,,'Versöhnungsfrage“ mitzutheilen, d. h., das absolute Festhalten
Seiner Majestät an dem vom Fürsten Bismarck zu thuenden ersten
Schritt mit entsprechender Abbitte“. Vom zu tuenden ersten Schritt
unterrichtete die Instruktion an Prinz Reuß, die Eulenburg zuge-
gangen war. Aber,,Versöhnungsfrage“ und entsprechende „Abbitte“
sind da nicht erwähnt, wohl aber hat der Kaiserbrief „Versöhnungs-
drang“ und zweimal „peccavi sagen“. Es kommt hinzu, daß Eulen-
burg sich auf seine Kenntnis des Standpunktes Seiner Majestät be-
ruft, wie er auch seine Verdienste um die Leitung der Bismarck-An-
gelegenheit in München keineswegs zu verkleinern sucht — kurz, hier
ist Vertrautheit mit den Gedankengängen oder vielleicht richtiger,
den Gefühlswindungen des Kaiserbriefes, und selbst bis auf die
Worte: Annäherung ist noch nicht Abbitte, selbst Aufwartung, von
der Eulenburg nachher spricht, ist mehr als Annäherung. Der
Kaiserbrief zeigt nach Form und Inhalt die Züge des „Allerhöchsten
Briefschreibers“1, wie Bismarck einmal sagte und die Atmosphäre
des Eulenburgschen Briefes — gewiß nicht zufällig. Es ist nicht zu
leugnen, daß in dem Kaiserbrief ein für modernes und weltliches
Empfinden überstarkes monarchisches Hochgefühl sich auswirkt.
Aber man bedenke: im Januar 1882 hielt Bismarck seine große
Reichstagsrede wegen des Wahlerlasses des Königs von Preußen
und, indem er betonte, daß der König regiere, sagte er vorsichtig,
es mache „einen außerordentlichen Unterschied, ob Sie an der Spitze
1 . wie denn auch die eigenhändigen Antworten unseres Herrn
von mir zu beantworten waren. Auf diese Weise hatte die eigenhändige
Korrespondenz, in der beide Monarchen die wichtigsten politischen Fragen
mit entscheidender Autorität behandelten, zwar nicht die konstitutionelle Ga-
rantie einer ministeriellen Gegenzeichnung, aber doch das Korrektiv mini-
sterieller Mitwirkung, vorausgesetzt, daß sich der Allerhöchste Briefschreiber
genau an das Konzept hielt.“ Diesmal hielt sich der Kaiser nicht an die Be-
sprechung mit Frhr. v. Marschall. —
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl, 1921. 6 Abh.
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der Audienz fordernden Brief bereits geschrieben, der in der Nacht
vom 13. zum 14. nach Wien durch Kurier ging, und am Abend des
14. durch Prinz Reuß an die Wiener amtliche Stelle und durch
diese an Franz Josef gereicht wurde: datiert ist er in der Wiener
Publikation und im Original des Antwortschreibens vom 12. 6. Wer
hiebei des Kaisers Berater war — läßt die folgende Stelle aus dem
vertraulichen Brief des Grafen Eulenburg an Frhr. v. Marschall vom
14. 6. (Nr. 47J) aus München vermuten: ,,Da ich in der Lage war,
dem Herrn Minister den Standpunkt Seiner Maj estät in der sogenann-
ten ,,'Versöhnungsfrage“ mitzutheilen, d. h., das absolute Festhalten
Seiner Majestät an dem vom Fürsten Bismarck zu thuenden ersten
Schritt mit entsprechender Abbitte“. Vom zu tuenden ersten Schritt
unterrichtete die Instruktion an Prinz Reuß, die Eulenburg zuge-
gangen war. Aber,,Versöhnungsfrage“ und entsprechende „Abbitte“
sind da nicht erwähnt, wohl aber hat der Kaiserbrief „Versöhnungs-
drang“ und zweimal „peccavi sagen“. Es kommt hinzu, daß Eulen-
burg sich auf seine Kenntnis des Standpunktes Seiner Majestät be-
ruft, wie er auch seine Verdienste um die Leitung der Bismarck-An-
gelegenheit in München keineswegs zu verkleinern sucht — kurz, hier
ist Vertrautheit mit den Gedankengängen oder vielleicht richtiger,
den Gefühlswindungen des Kaiserbriefes, und selbst bis auf die
Worte: Annäherung ist noch nicht Abbitte, selbst Aufwartung, von
der Eulenburg nachher spricht, ist mehr als Annäherung. Der
Kaiserbrief zeigt nach Form und Inhalt die Züge des „Allerhöchsten
Briefschreibers“1, wie Bismarck einmal sagte und die Atmosphäre
des Eulenburgschen Briefes — gewiß nicht zufällig. Es ist nicht zu
leugnen, daß in dem Kaiserbrief ein für modernes und weltliches
Empfinden überstarkes monarchisches Hochgefühl sich auswirkt.
Aber man bedenke: im Januar 1882 hielt Bismarck seine große
Reichstagsrede wegen des Wahlerlasses des Königs von Preußen
und, indem er betonte, daß der König regiere, sagte er vorsichtig,
es mache „einen außerordentlichen Unterschied, ob Sie an der Spitze
1 . wie denn auch die eigenhändigen Antworten unseres Herrn
von mir zu beantworten waren. Auf diese Weise hatte die eigenhändige
Korrespondenz, in der beide Monarchen die wichtigsten politischen Fragen
mit entscheidender Autorität behandelten, zwar nicht die konstitutionelle Ga-
rantie einer ministeriellen Gegenzeichnung, aber doch das Korrektiv mini-
sterieller Mitwirkung, vorausgesetzt, daß sich der Allerhöchste Briefschreiber
genau an das Konzept hielt.“ Diesmal hielt sich der Kaiser nicht an die Be-
sprechung mit Frhr. v. Marschall. —
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl, 1921. 6 Abh.
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