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Meister, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1924/25, 3. Abhandlung): Die Hausschwelle in Sprache und Religion der Römer — Heidelberg, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.38945#0022
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22

Karl Meister:

nicht die Griechen vorbildlich gewesen sein: Bei Homer wird ja
ουδός nicht in den Plural gesetzt und hat nicht jene weiteren Be-
deutungen erhalten; Aeschylus, Pindar, Sophokles, Euripides, Theo-
krit, Kallimachos und vermutlich auch die anderen Dichter nennen
die Schwelle selten oder nie1. Der Gegensatz, der hier zwischen
Griechen und Römern besteht, tritt im Paraklausithyron deutlich
hervor: Bei diesen gehört sie zum konventionellen Phrasenschatz
des Liebhabers, bald als Symbol des Eingangs, bald als harte
Lagerstatt, während sie in den verwandten griechischen Versen
und Gedichten, die Crusius in seiner Herondasausgabe (Lipsiae
1914 5), p. 124 ff., Heinze zu Horaz, c. 3, 10, 3 und Leo, Rh. M. 55,
1900, 607 gesammelt haben, niemals erwähnt wird.
Die Frage, wie die römischen Dichter zu dem erweiterten Ge-
brauch von Urnen gelangt sind, kann demnach nicht mit dem be-
quemen Hinweis auf die exemplaria Graeca erledigt werden, nach
denen ja sonst die Augusteer ihren Wortschatz und ihre Syntax
in vieler Beziehung geschaffen oder umgeformt haben. Urnen muß
sich selbst, ohne griechische Stütze, durch Wortform oder Be-
deutung dem römischen Dichter empfohlen haben. Ich glaube,
daß es ihm in formaler wie semasiologischer Hinsicht willkommen
war. Es konnte als Ersatzwort für das in allen Casus obliqui
unmögliche ianua dienen, um so mehr, als es gerade dort dem
Hexameter sich einfügte, wo die anderen Ersatzwörter, porta postes
fores aditus, im Versinnern auch ostia, nicht verwendbar waren.
Daß Urnen nur durch diesen Vorzug der äußeren Gestalt seine
Beliebtheit erlangt hat, glaube ich nicht: In der kultivierten Sprache
der augusteischen Dichter und ihrer letzten Vorgänger hat das
Metrum allein solche Neuerungen nicht geschaffen. Vielmehr wird
es durch die folgende Untersuchung noch deutlicher als bisher
hervortreten, daß Urnen einen feierlichen Klang2 hatte, der mit der
pathetischen Sprache der hohen Poesie harmonierte. Die limen-
Phrasen bilden einen nationalen Zug in der römischen Dichtung.
Welche bedeutende und scharf bestimmte Rolle die Schwelle
im Sprachgebrauch der alten Römer spielt, das wird durch einen
Vergleich mit anderen Völkern recht deutlich.

1 Aeschyl. Ch. 571 αμείψω βαλόν έρκείαιν πυλών ist homerische Form in
tragische Worte gekleidet (η 135 υπέρ ουδόν έβήσετο δώματος είσαι). — Auffällig
Herodas S. 27, 1.
2 Norden, Aene'is VI 2, S. 204 u. ö.
 
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