Frh. v. Künssberg:
Inzwischen haben wir aus einer Reihe von Arbeiten gelernt,
daß die Rechtssprache nicht etwa bloß passiv die allgemeine
Sprachgeschichte mitgespürt hat; eine Annahme, zu der man ver-
leitet werden könnte, wenn man beobachtet, wie sonst im all-
gemeinen das Recht zu den konservativen Faktoren der Kultur-
entwicklung gehört und jedenfalls häufig konservativer ist als die
Sprache. Aber im Gegenteil! Im Guten und im Rosen ist der
rechtliche Sprachgebrauch entscheidend beteiligt an der Sprach-
entwicklung19.
Wie monumental ist doch die Stellung, die der Sachsenspiegel
in der niederdeutschen Sprach- und Geistesgeschichte einnimmt.
Und der Löwenanteil an der ältesten mittelniederdeutschen Lite-
ratur entfällt auf die Rechtssprache20. Im 14. Jahrhundert hat
die Kanzleisprache der Luxemburger einen Ausgleich oberdeutscher
und mitteldeutscher Elemente gebracht; das Zusammentreffen des
niederdeutschen Sachsenspiegels und des oberdeutschen Schwaben-
spiegels hat in gleicher Richtung gewirkt21. Die Reichsabschiede,
die Kanzlei Maximilians I. waren von einschneidender Redeutung
Burdach hat in einem Aufsatz über den Satzrhythmus in der
deutschen Prosa22 überzeugend dargelegt, daß die rhythmischen
Formen des Satzschlusses, und im Satzinnern, der sog. Kursus der
deutschen Kanzleisprache, wie er in der deutschen Reichskanzlei
19 Diese Beobachtung beschränkt sich keineswegs auf die deutsche
Sprache. Bei vielen Völkern kommen mit der ältesten Literatur sofort die
ältesten Rechtsaufzeichnungen (vgl. Gregorovius, Geschichte der Stadt
Athen im Mittelalter I, 237). Man braucht nur an die Zwölftafelgesetze der
Römer zu denken. Die ältesten und wichtigsten Denkmäler der altschwedi-
schen Literatur sind ihre Rechts- und Gesetzbücher. In altfriesischer Sprache
haben wir nur Rechtsquellen erhalten. Die spanischen Siete Partidas des
13. Jahrhunderts haben mitbewirkt, daß das Kastilische, in dem sie abgefaßt
waren, zur allgemein herrschenden Landessprache wurde (von Rauchhaupt,
Geschichte der spanischen Gesetzesquellen [1923], S. 124). Im Rhäto-romani-
schen gehören Rechtsquellen zu den ersten Schriftwerken (Tuor, Rhätorom.
Rechtsdenkmäler, Festgabe für Lampert [1925], S. 12). Und um auch ein
charakteristisches Beispiel für das Zusammentreffen von Sprachgrenze und
Rechtsgrenze bei einer fremden Sprache zu geben: In Frankreich verläuft die
Grenze der langue d’oc und der langue d’oil gerade so wie die Grenze zwischen
droit ecrit und droit coutumier (Lsmein-Genestal, Gours drHistoire du droit
frangais, 1925, p. 683). — Paul Meyer, Etüde sur la limite geographique de
la langue d’oc et de la langue d’oil (Paris 1876), konnte ich noch nicht einsehen.
20 Stammler, Geschichte der Niederdeutschen Literatur, 1920, S. 14ff.
21 Edward Schröder in Gött. geh Anzeigen, 1888, S. 269.
22 Sitzungsber. d. preuß. Akad. d. Wiss., 1909, S. 520.
Inzwischen haben wir aus einer Reihe von Arbeiten gelernt,
daß die Rechtssprache nicht etwa bloß passiv die allgemeine
Sprachgeschichte mitgespürt hat; eine Annahme, zu der man ver-
leitet werden könnte, wenn man beobachtet, wie sonst im all-
gemeinen das Recht zu den konservativen Faktoren der Kultur-
entwicklung gehört und jedenfalls häufig konservativer ist als die
Sprache. Aber im Gegenteil! Im Guten und im Rosen ist der
rechtliche Sprachgebrauch entscheidend beteiligt an der Sprach-
entwicklung19.
Wie monumental ist doch die Stellung, die der Sachsenspiegel
in der niederdeutschen Sprach- und Geistesgeschichte einnimmt.
Und der Löwenanteil an der ältesten mittelniederdeutschen Lite-
ratur entfällt auf die Rechtssprache20. Im 14. Jahrhundert hat
die Kanzleisprache der Luxemburger einen Ausgleich oberdeutscher
und mitteldeutscher Elemente gebracht; das Zusammentreffen des
niederdeutschen Sachsenspiegels und des oberdeutschen Schwaben-
spiegels hat in gleicher Richtung gewirkt21. Die Reichsabschiede,
die Kanzlei Maximilians I. waren von einschneidender Redeutung
Burdach hat in einem Aufsatz über den Satzrhythmus in der
deutschen Prosa22 überzeugend dargelegt, daß die rhythmischen
Formen des Satzschlusses, und im Satzinnern, der sog. Kursus der
deutschen Kanzleisprache, wie er in der deutschen Reichskanzlei
19 Diese Beobachtung beschränkt sich keineswegs auf die deutsche
Sprache. Bei vielen Völkern kommen mit der ältesten Literatur sofort die
ältesten Rechtsaufzeichnungen (vgl. Gregorovius, Geschichte der Stadt
Athen im Mittelalter I, 237). Man braucht nur an die Zwölftafelgesetze der
Römer zu denken. Die ältesten und wichtigsten Denkmäler der altschwedi-
schen Literatur sind ihre Rechts- und Gesetzbücher. In altfriesischer Sprache
haben wir nur Rechtsquellen erhalten. Die spanischen Siete Partidas des
13. Jahrhunderts haben mitbewirkt, daß das Kastilische, in dem sie abgefaßt
waren, zur allgemein herrschenden Landessprache wurde (von Rauchhaupt,
Geschichte der spanischen Gesetzesquellen [1923], S. 124). Im Rhäto-romani-
schen gehören Rechtsquellen zu den ersten Schriftwerken (Tuor, Rhätorom.
Rechtsdenkmäler, Festgabe für Lampert [1925], S. 12). Und um auch ein
charakteristisches Beispiel für das Zusammentreffen von Sprachgrenze und
Rechtsgrenze bei einer fremden Sprache zu geben: In Frankreich verläuft die
Grenze der langue d’oc und der langue d’oil gerade so wie die Grenze zwischen
droit ecrit und droit coutumier (Lsmein-Genestal, Gours drHistoire du droit
frangais, 1925, p. 683). — Paul Meyer, Etüde sur la limite geographique de
la langue d’oc et de la langue d’oil (Paris 1876), konnte ich noch nicht einsehen.
20 Stammler, Geschichte der Niederdeutschen Literatur, 1920, S. 14ff.
21 Edward Schröder in Gött. geh Anzeigen, 1888, S. 269.
22 Sitzungsber. d. preuß. Akad. d. Wiss., 1909, S. 520.