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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 1. Abhandlung): Rechtssprachgeographie — Heidelberg, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.38921#0022
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Frh. v. Künssberg:

Unzweifelhafte Klarheit ist in der Rechtssprache wichtiger
als Schönheit. Das zähe Festhalten, das Beibehalten des Über-
kommenen führt aber leicht dazu, daß manche Rechtsausdrücke
altertümlich wirken, weil sie im allgemeinen Sprachgebrauch über-
holt und ersetzt sind. Doch kann auch der umgekehrte Fall Vor-
kommen, daß die Rechtsordnung ein neues Rechtswort einführt
■— fast jeder Gesetzgeber ist auch Sprachschöpfer, — daß die Um-
gangssprache aber noch das bis dahin übliche Rechtswort weiter
gebraucht, sei es im rechtlichen Sinne oder auch in übertragener
Bedeutung. So geht die Rechtssprache einmal der Umgangssprache
voraus, ein andermal hinkt sie hinter ihr drein. Es gibt Rechts-
altertümer in der Sprache und Sprachaltertümer im Recht. Sie
sind so bekannt27, daß es genügt, einige Beispiele zu nennen:
Schwertteil, Zetergeschrei, dingfest machen, Jahr und Tag; Ge-
were, Vormund.
Die Rücksicht auf das Hergebrachte geht beim Gesetzgeber
mitunter bis in die Einzelheiten der Rechtschreibung. Es ist
bezeichnend, daß der niederländische Strafgesetzentwurf aus den
70er Jahren in der Rechtschreibung des Jahres 1804 gehalten
war. Erst auf Einspruch des Sprachforschers de Vries und auf
einen Antrag der Zweiten Kammer wurde die Rechtschreibung
geändert28.
Manche Erscheinungen des Sprachlebens lassen sich vielleicht
in der Rechtssprache genauer beobachten. So das Abkommen ein-
zelner Wörter, indem das Ende der rechtlichen Verwendung eines
Ausdrucks zuweilen kalendermäßig festgestellt werden kann. Zum
Beispiel wurde das alte Brüche 1877 in Schleswig-Holstein durch
nisch geschworen (Tuor, Rhätoromanische Rechtsdenkmäler, Festgabe für
Lampert [1925], S. 22). -— Die Fahneneide in der alten österreichischen
Armee wurden trotz deutscher Armeesprache in der Muttersprache geleistet.
— Selbst bei näherstehenden Mundarten läßt sich diese Beobachtung machen.
Dem Sneeker Stadtbuch in Friesland sind altfriesische Eide beigegeben
(Telting, De friesche stadrechten, 1883, S. 137ff.). •— Der Bürgereid in
Hamburg war bis ins 19. Jahrhundert niederdeutsch, obwohl die Rechts-
quellen längst hochdeutsch waren und auch die mündliche Rechtssprache
hochdeutsch geworden war (Hamburg, wie es war und ist [1827], S. 41). —
Zur Eiderleichterung für Sprachunkundige im angelsächsischen Recht vgl.
Brunner ZRG. Germ. 30, (1896), S. 128. Für das deutsche Mittelalter vgl.
Planitz, ZRG. Germ. 52 (1918), 243f.
27 Insbesondere durch die Arbeiten von L. Günther, Recht und Sprache
(1898), Rechtsaltertümer in unsrer heutigen Sprache (1903).
28 Smidt, Geschiedenes van het Wetboek van Strafrecht2 I, 41 ff.
 
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